Zusammenstöße mit Elefanten, ein Einbruch und eine schwere Krankheit – Auswanderin Birgit Bösche aus der Börde hat so einiges überstanden. Nach Höhen und Tiefen in vier Ländern weiß sie, wo sie Wurzeln schlagen will. 

Von Janine Gürtler

Ihre Sehnsucht nach Afrika hat Birgit Bösche ausgerechnet in der DDR entdeckt. In ihrer Wohngemeinschaft in Ostberlin, die sie mit neun jungen Frauen teilt, sieht die damals 22-Jährige aus dem Bebertal bei Haldensleben „Jenseits von Afrika“. Der Film mit Meryl Streep und Robert Redford, eine melancholische Liebeserklärung an die Natur und Ureinwohner Kenias, zieht die blonde Wirtschaftskauffrau sofort in ihren Bann. „Wir haben danach wild gesponnen, wohin wir gern reisen würden“, sagt Bösche. „Die anderen wollten nach Italien, nach Kanada. Ich sah Robert Redford und wollte nur noch nach Afrika.“ Damals, 1988, pure Träumerei – das weiß sie. Zwei Jahre später sollte das aber anders aussehen.

Als sie zur Wende von Ost- nach Westberlin zieht, freundet sie sich mit, Ilse, einer älteren Dame in der Nachbarschaft an. Sie hilft ihr beim Einkaufen, kocht, und unterstützt sie, wo immer es geht. „Wir Ossis waren ja so, wir haben immer geholfen“, sagt sie und lacht. Als Ilse stirbt, bekommt Bösche eine Einladung von deren Tochter. „Die lebte in Johannesburg und wollte unbedingt, dass ich sie und ihre Freunde in Südafrika besuchen komme.“ Nach einigem Zögern fliegt sie 1990 schließlich hin – und ist sofort Feuer und Flamme. Sie wohnt auf einer Farm außerhalb von Johannesburg, kocht unterm Sternenhimmel, sieht die Spuren des Diamantenrauschs in Kimberly und die Zebras im Kruger-Nationalpark, einem der größten Wildschutzgebiete Afrikas. „Diese unendliche Weite, das Gefühl von grenzenloser Freiheit: Das war einfach der absolute Traum.“ 

Auswandern nach Südafrika: Im Steakhouse mit Michael und Ralf Schumacher

Ihre neuen Freunde, mit denen sie herumreist – alle rund 20 Jahre älter und selbst aus Deutschland, der Schweiz und Österreich nach Johannesburg ausgewandert – wollen sie am liebsten für immer dabehalten. „Die meinten: Birgit komm her, wir brauchen Frischfleisch“, erinnert sich Bösche und lacht. Und die Weltenbummlerin aus Bebertal überlegt nicht lang. Sie bewirbt sich als Wirtschaftskauffrau über eine Arbeitsvermittlung und bekommt sagenhafte 36 Angebote. „Die suchten damals wie verrückt Fachkräfte.“

“Das war die beste Entscheidung meines Lebens.”

Birgit Bösche

Als sie im August 1992 nach eineinhalb Jahren Wartezeit endlich ihre Aufenthaltsgenehmigung bekommt, fliegt sie schon drei Wochen später mit Sack und Pack nach Südafrika. In Johannesburg vermittelt sie zunächst Privatwohnungen für Touristen bei einer Agentur, boxt sich später als Kellnerin durch, verkauft Trödel auf Flohmärkten und arbeitet schließlich als Bürokauffrau im „The Butcher Shop and Grill“, einem der berühmtesten Steakhäuser Südafrikas. „Ich habe in dieser Zeit so viele interessante Leute kennengelernt“, sagt sie. Die Formel 1-Legenden Michael und Ralf Schumacher kehren regelmäßig im Steakhaus ein, hier lernt sie auch den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Cyril Ramaphosa, den Präsidenten Südafrikas kennen. Drei Naturfotografen, die gute Freunde von ihr werden, überzeugen sie schließlich, noch einmal umzusatteln und Reiseleiterin zu werden. „Das war die beste Entscheidung meines Lebens“, schwärmt die 54-Jährige. 

Sieben Jahre ist sie jede Woche auf Safari, lebt in Naturreservaten, isst abends mitten im Busch unterm Sternenhimmel, während in der Ferne die Löwen zu hören sind. „Und das habe ich auch noch bezahlt bekommen.“ Den Respekt vor den Tieren hat sie dabei nie verloren – im Gegensatz zu manchen Touristen. „Da gibt es wirklich welche, die machen Mauz-Geräusche, um die Löwen anzulocken“, sagt Bösche. „Das hat mich immer wahnsinnig gemacht.“ Denn trotz Safari-Romantik sind Ausflüge in die Wildnis immer mit Risiken verbunden. Die hat die abenteuerlustige Auswanderin am eigenen Leib zu spüren bekommen. 

Auswandern nach Südafrika: Gefährliche Begegnungen mit Elefanten

Im Hluhluwe-Nationalpark bleibt ihre Reisegruppe mit ihrem VW-Bus kurz vor einem Klippenhang stecken, genau dann, als eine Elefantenherde bedrohlich nahe kommt. Der riesige Elefantenbulle ist in der Paarungszeit und im Angriffsmodus. „Ich wollte den Rückwärtsgang einlegen, aber ich war so nervös, dass ich zuerst ein Stück nach vorn gefahren bin“, erzählt Bösche, „fast ihn in rein.“ Trotzdem ging alles gut. Wie leicht so eine Situation aber auch in einer Katastrophe enden kann, hat die Sachsen-Anhalterin selbst erlebt.

Bei einer Jeepfahrt im Kruger-Nationalpark sprang ein 80-jähriger Tourist in Panik vom offenen Deck, als sich eine Elefantenherde näherte. Er wurde vom Elefantenbullen zertrampelt und starb. „Das war eine ganz schreckliche Erfahrung“, sagt Bösche. „Und du fühlst dich immer schuldig, egal wie oft du die Leute gewarnt hast, niemals auszusteigen.“ Gefährlich kann es aber nicht nur in der Tierwelt Südafrikas werden. Bei einem nächtlichen Einbruch in das Haus von Bösche und ihrem Mann, den sie in Südafrika kennengelernt hatte, räumen die Täter sämtlichen Wertsachen aus dem Haus. Die Polizei macht ihnen kurz darauf nur wenig Hoffnung, sie zu schnappen. „Die meinten, so etwas passiere jeden Tag. Die haben nicht mal Fingerabdrücke genommen.“ Auch das ist einer der Gründe, warum sie irgendwann von Südafrika genug hat.

Herausforderungen beim Auswandern: Drogensumpf auf den Bahamas 

Als ihr Mann 2010 durch seinen Job bei einem Öl- und Gaskonzern auf die Bahamas versetzt wird, geht sie mit ihm. Der Inselstaat, das merkt Bösche schnell, hat neben seinen schönen Seiten – den Stränden, den Korallenriffen, dem blauen Meer – zahlreiche Probleme. Frauen werden häufig Opfer von häuslicher Gewalt. Geldwäsche, Drogenhandel und Korruption gehören hier seit Jahrzehnten zum Alltag. „Viele junge Leute nehmen hier Drogen und glauben, dass der Drogenhandel das schnelle Geld bringt.“

Einen Job findet sie hier nicht, und so wird auch das Leben auf der Trauminsel schnell dröge. Auch Kuwait, wohin ihr Mann ein halbes Jahr später versetzt wird, bleibt nur eine Zwischenstation. „Ich konnte als Frau hier weder arbeiten noch mich frei bewegen“, sagt die Auswanderin. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind extrem. Während die Kaufhäusern vor Luxus überquellen, wird auf den Straßen das schmutzige Abwasser ins Meer abgeleitet. 2011 schließlich wird die Firma ihres Mannes verkauft, das Unternehmen zahlt einen letzten Umzug. Bösche und ihr Mann wollen nach Portugal, weil das Land zentral in Europa gelegen ist. „Wir sind mit einem Wohnmobil überall im Land herumgefahren, und nach drei Tagen wussten wir: Portugal ist unser Zuhause,“ sagt die Weltenbummlerin. 

Trennung, Krankheit und ein Neuanfang in Portugal

Bösche und ihr Mann mieten ein Haus in der Algarve, leben aber weiter zwischen zwei Welten. Ihr Mann arbeitet weiter in Katar, fliegt dafür regelmäßig zwischen den Emiraten und Portugal hin und her. Sie selbst bietet Wanderungen für Touristen und Einheimische in der Algarve an. Doch der Neuanfang verläuft anders als erwartet. Die Öl- und Gasindustrie gerät in die Krise, 2016 verliert ihr Mann seinen Job. Noch im selben Jahr geht auch ihre Ehe in die Brüche. „Er litt unter Depressionen und flog immer wieder nach Südafrika, um vor seinen Problemen davonzulaufen. Und ich stand allein da“, erinnert sich die Auswanderin.

“Eines Nachts sind meine Beine alle paar Minuten eingeschlafen.”

Birgit Bösche

Der psychische Druck macht sich irgendwann auch körperlich bemerkbar. Sie leidet unter Bluthochdruck und hat so extreme Schmerzen in den Waden, dass sie kaum hundert Meter weit laufen kann. „Eines Nachts sind meine Beine alle paar Minuten eingeschlafen“, blickt sie zurück. Sie kommt ins Krankenhaus, entgeht nur durch eine Not-OP einer Beinamputation. „Der Arzt meinte zu mir, ich solle mehr Sport treiben, dabei bin ich ja jeden Tag fast 30 Kilometer gewandert.“ Durch den Blutverdünner, den sie daraufhin nehmen muss, bekommt sie schmerzhafte blaue Flecken, ihr wird ständig schwindelig. Also sieht sie sich nach natürlichen Alternativen um – die ihr nicht nur Linderung verschaffen, sondern auch eine neue Jobperspektive eröffnen. Heute berät sie Menschen, die an Krankheiten wie Alzheimer, Autismus, Arthrose oder Lupus leiden, zu Naturprodukten und Entgiftungskuren. Alles online und von zu Hause aus. „Diese Flexibilität war mir wichtig, damit ich mich auch um meine Eltern in Deutschland kümmern kann“, sagt sie. 

Neue Heimat in Portugal: Fast allein auf 80 Hektar Land

Heute lebt sie allein auf einer Farm in der Nähe von Lagos. Die kleine Hafenstadt in der Algarve zählt mit ihren engen Gassen, bunten Häusern, und traumhaften Sandstränden zu den schönsten Städten Portugals. Und sie merkt: Im Süden Portugals ticken die Uhren anders. Wenn Birgit Bösche aus ihrem Haus tritt, hat sie 80 Hektar Land vor sich. Autos verirren sich nur selten auf hierher. „Ich war mein ganzes Leben hektisch unterwegs, in Berlin, Kuwait, Kapstadt. Jetzt habe ich diese unglaubliche Freiheit und Ruhe“, so die Auswanderin. „Das liebe ich total.“ Einsam ist sie deshalb trotzdem nicht. Sie hat drei Nachbarn, allesamt Deutsche. Dazu kommen Ziegen, Hängebauchschweine und gerettete Pferde. Letztere schauen auch gern mal in Bösches Küche vorbei, um sich am Obst zu bedienen. 

Und was denkt die Auswanderin über Portugiesen? „Es sind sehr nette Leute, aber meist ohne große Ambitionen“, antwortet sie diplomatisch. Die Menschen seien mit dem zufrieden was sie hätten, so etwas wie ein Streik sei hier nicht vorstellbar. „Da würde gar keiner hingehen.“ Und die wenigsten Portugiesen, die sie kennt, bringen sich aktiv irgendwo ein, stellen etwas auf die Beine. „Die Engländer hier haben dieses Sprichwort über die Portugiesen: They couldn’t organise a piss up in a brewery“, erzählt die Auswanderin. Auf deutsch: Sie können nicht einmal in einer Brauerei ein Besäufnis organisieren. „Und das ist wirklich wahr. Wenn es brennt, sind es Engländer, Holländer und Deutsche die Wasser und Lebensmittel sammeln und zur Feuerwehr am Brandort bringen.“

“Viele Läden sind bankrott gegangen.”

Birgit Bösche

Derzeit hat Portugal aber vor allem mit der Corona-Pandemie zu kämpfen. Die Delta-Variante verbreitet sich hier rasend schnell. Erst vor wenigen Wochen wurde die Hauptstadt Lissabon komplett abgeriegelt. Und gerade die Menschen in der Algarve, die vor allem vom Tourismus leben, bekommen die Auswirkungen zu spüren. Weil Hotels, Restaurants und Cafes über Monate geschlossen blieben, fielen auch die Touristen weg. „Viele Läden sind bankrott gegangen, es ist schon extrem traurig.“ 

Kein Zurück nach Sachsen-Anhalt

Ihre Heimat in der Börde hat die Deutsche aber auch nach über 28 Jahren im Ausland nicht vergessen. Mit ihren Schulfreunden steht sie noch heute in engem Kontakt, jedes Jahr kommt sie zum Schützenfest in Bebertal zurück: „Da feiern wir auch drei Tage durch.“ Zieht es sie also irgendwann vielleicht doch zurück nach Sachsen-Anhalt? „Um Gottes Willen, nein“, sagt die Deutsche. Zurück würde sie nur ziehen, wenn ihre Eltern ihre Hilfe bräuchten. „Aber danach bin ich auch wieder weg“, schiebt sie hinterher. „Ich habe mir in den vergangenen neun Jahren so viel in Portugal aufgebaut, so viele Freunde um mich herum, ich liebe es hier einfach.“ Irgendwann würde sie das Stück Land, auf dem sie zur Miete wohnt, gern kaufen. „Es ist der einzige Ort, an dem ich mir vorstellen kann, Wurzeln zu schlagen.“


Der Artikel erschien zuerst in der Mitteldeutschen Zeitung und auf mz.de.