Der Lehrermangel in Sachsen-Anhalt trieb Thomas Azeroth und seine Familie in die Dominikanischen Republik. Die Entscheidung haben sie – trotz monatelanger Arbeitslosigkeit – nie bereut.

Von Janine Gürtler

Wenn Thomas Azeroth von seinem Leben in Bávaro an der Costa del Coco erzählt, dann schwärmt er nicht von den endlos langen weißen Sandstränden oder dem türkisblauen Meer, sondern vom unbegrenzten Optimismus seiner Mitmenschen. „Die Dominikaner sind ein absolut faszinierendes Volk“, sagt der 47-Jährige aus Teutschenthal. „Die können noch so viele Probleme haben, die sind trotzdem immer gut drauf.“ Und Probleme haben die Menschen in der Dominikanischen Republik zumindest aus deutscher Sicht so einige. Abseits der in Urlaubsportalen verkauften Inselromantik sind die Lebensverhältnisse einfach, Importprodukte teuer, Arbeitsplätze rar und die Löhne niedrig. Oft bekommen die Menschen nicht einmal den Mindestlohn. Vielleicht liegt der Inselstaat in der Karibik auch deshalb auf der Beliebtheitsskala deutscher Auswanderer weit abgeschlagen hinter Ländern wie Marokko oder Pakistan. Doch für Thomas Azeroth und seine Familie ist das Land ein Paradies. „Die Leute haben hier Spaß am Leben. Ich habe noch nie einen Dominikaner gehört, der sich beschwert, wenn man ihn fragt, wie es ihm geht.“ 

Vor drei Jahren zog es den gelernten Küchenmonteur und seine Familie von Sachsen-Anhalt nach Bávaro an der Punta Cana, dem beliebtesten Touristengebiet der Insel. Über zwei Millionen Touristen zieht es jedes Jahr in die Region. Der 47-Jährige und seine Frau Doreen bieten hier Inselausflüge für Touristen an, seine Kinder Virginia und Luca besuchen eine internationale Schule. 

In die Karibik ausgewandert: Lehrermangel gibt den Anstoß

Angefangen hat alles aber eigentlich schon 2001. Da verliebten sich Thomas und Doreen während ihres ersten Urlaubs in der Dominikanischen Republik in das Land. „Wir haben uns versprochen: Wenn wir alt und grau sind, wandern wir hierhin aus.“ Ganz so lange sollte es nicht dauern, aber immerhin 17 Jahre. So lang zog es das Paar immer wieder nach Punta Cana, dank ihrer Abenteuerlust lernten sie Land und Leute schnell kennen. „Wenn wir irgendwo einen Feldweg sehen, dann müssen wir da abbiegen und schauen, wo der endet“, scherzt Azeroth. Über die Jahre bauten sie sich so nicht nur einen großen Freundeskreis, sondern auch ein zweites berufliches Standbein in Bávaro auf. Gemeinsam mit „Bloemie“, einem Deutschen, der bereits in Punta Cana lebt, boten sie Touristenausflüge an: Thomas verwaltete von Deutschland aus die Buchungen, Bloemie fuhr vor Ort die Ausflüge. 

Wer wissen will, wie es sich in der lebt, kann sich das selbstgedrehte Video von Thomas Azeroth ansehen. Darin zeigt der Auswanderer ein paar seiner Lieblingsplätze um und auf der Karibikinsel, und erklärt, warum sein Wohnzimmer komplett leer ist.

Den letzten Anstoß zum Auswandern gab aber ausgerechnet der Lehrermangel in Sachsen-Anhalt. Als 2017 in der Schule seiner Tochter zwei Fächer komplett vom Stundenplan gestrichen wurden, riss bei Thomas Azeroth der Geduldsfaden: „Da hab’ ich mir gesagt: Ich habe keinen Bock mehr, wir ziehen um.“ Seine Familie musste er nicht lang überreden. „Wir haben das alle gemeinsam beschlossen“, sagt der Teutschenthaler, „und meine Tochter meinte zur mir: ‚Lieber gestern als morgen‘.“

Leben in Bávaro: Neuanfang nach Mobbing 

Im Januar 2018 packte die Familie ihre Koffer und stieg in den Flieger – ihre Wohnung in Teutschenthal hatten sie da noch nicht aufgelöst. „Wir wollten erst einmal ein halbes Jahr auf Probe dort wohnen und sehen, ob es den Kindern gefällt.“ Schon der erste Tag in der neuen Heimat aber übertraf alle Erwartungen. „Als wir sie von der Schule abgeholt haben, meinten beide, sie hätten freiwillig gern noch eine Stunde länger gemacht“, erinnert sich der Teutschenthaler. Besonders für Virginia war das Auswanderer-Abenteuer auch die Chance auf einen Neuanfang. In ihrer alten Schule war die Siebtklässlerin eine der wenigen in ihrer Klasse, die für die Schule lernte, wurde deshalb ausgegrenzt. „Ihr Mitschüler waren alle der Meinung, dass ein Leben mit Hartz IV cool sei“, so Azeroth. „Also hat sie sich immer öfter in ihr Zimmer verzogen, wir fanden kaum noch Zugang zu ihr.“

An der internationalen Schule in Bávaro hingegen fand sie gleich am ersten Tag Freunde, wurde spontan zum Essen eingeladen. „Unsere Kinder wollten partout nicht nach Deutschland, weil sie Angst hatten, wir würden nicht wieder hierher fliegen“, sagt Azeroth und lacht. Also räumten seine Eltern und Freunde die Wohnung in Teutschenthal aus. Heute, drei Jahre später, ist Bávaro längst ein Zuhause für Virginia und Luca geworden, beide sprechen fließend Spanisch und Englisch und haben einen großen Freundeskreis. Auf ihr Leben in Deutschland haben sie keine Lust mehr. „Als meine Tochter das letzte Mal aus dem Urlaub zurückkam, meinte sie zu mir: ‚Papa, Deutschland ist grau geworden‘.“

Raus aus dem Hamsterrad

Und auch der Familienvater selbst trauert seinem alten Leben in Sachsen-Anhalt nicht hinterher. „Das einzige, was wir bereut haben ist, dass wir nicht zehn Jahre früher ausgewandert sind.“ In Deutschland fühlte sich Azeroth im sprichwörtlichen Hamsterrad gefangen: Als Küchenbauer hetzte er von Termin zu Termin, arbeitete bis zu 13 Stunden am Tag, auch an den Wochenenden. In Bávaro hat er sein Arbeitspensum auf gerade mal vier Stunden zurückgeschraubt. Gemeinsam mit Doreen und seinen Freunden Bloemie und Robert zeigt er Touristen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Schönheiten der Karibikinsel. Egal ob bei Buggyfahrten und Reitausflügen im dominikanischen Hinterland oder bei Bootsfahrten auf die Insel Saona, wo die weißen Sandstrände noch nahezu unberührt sind. Dort zu arbeiten, wo andere Urlaub machen, hat auch Azeroths Blickwinkel verändert auf das, was für ihn im Leben wichtig ist. Und das ist vor allem Zeit. „In Deutschland habe ich eigentlich nur gearbeitet, war immer auf Achse“, sagt Azeroth. „Da blieb nie viel Zeit für die Familie, aber das habe ich erst hier verstanden.“ 

“Das einzige, was wir bereut haben ist, dass wir nicht zehn Jahre früher ausgewandert sind.”

Thomas Azeroth

Gringo-Zuschläge und Straßenpartys

An andere dominikanische Eigenheiten wiederum hat Azeroth sich wiederum sehr schnell gewöhnt. Zum Beispiel, dass er sich beim Einkaufen gegenüber Händlern durchsetzen muss, um als „Gringo“ nicht den doppelten Preis zu zahlen. Gringos, so nennen Dominikaner weiße Ausländer aus Europa und Nordamerika. „Am Anfang haben uns noch Freunde beim Einkaufen geholfen, mittlerweile wissen die Händler aber, dass wir quasi Dominikaner sind.“ 

Dass es ihm als Auswanderer aus einem Wohlstandsland wie Deutschland trotzdem deutlich besser geht als den meisten Dominikanern, ist auch ihm bewusst. Während sein Haus in El Ejecutivo, einem Ort etwas außerhalb von Bávaro, in einer umgrenzten Anlage steht und aus festen Mauern gebaut ist, leben viele Menschen außerhalb der Städte in einfachen Holzhütten, durch die der Regen dringt. Gerade im Inland, weit weg von den Touristenhochburgen an der Küste, haben die Menschen nicht immer fließend Wasser. Dazu kommen immer wieder extreme Naturereignisse wie Dürren, Überschwemmungen, Erdbeben und Wirbelstürme, die durch den Klimawandel noch an Stärke zugenommen haben. Im Elend leben die Menschen trotzdem nicht, meint Azeroth, „es ist halt einfaches Leben.“

Geld oder gar Luxus spielen hier keine große Rolle. „Mein Busfahrer zum Beispiel leiht sich 2.000 Pesos, verspricht, dass er sie mir in der kommenden Woche zurückzahlt – und dann pumpt er in der Woche meinen Geschäftspartner um 2.000 Pesos an, damit er mich bezahlen kann“, sagt der Auswanderer und lacht. 

Rentner auf Probe

Auch Azeroth und seine Familie haben heute ein anderes Verhältnis zu Geld. Als mit der Corona-Pandemie nicht nur der Tourismus auf der Karibikinsel, sondern auch die Einnahmen für den Teutschenthaler wegfielen, hielten sie sich zehn Monate lang mit eigenen Ersparnissen über Wasser. Ein staatliches Sicherheitsnetz, wie Arbeitslosengeld oder staatliche Corona-Hilfen, gibt es in der Dominikanischen Republik nicht. „Wir waren quasi Rentner auf Probe.“ Dabei hätte Azeroth sofort wieder in Deutschland arbeiten können. „Wir haben mit unseren Kindern gesprochen, ob wir für eine Weile zurückgehen sollten. Aber das kam für sie nicht in Frage“, sagt Azeroth. „Die haben gesagt: ‚Wir verzichten auf jeglichen Luxus, wir brauchen kein Eis, keine Schokolade – hauptsache, wir bleiben hier‘.“ 

“Hier funktioniert das Leben noch.”

Thomas Azeroth

Einfach sei die Zeit nicht gewesen, meint der Auswanderer. Aber glücklicher als in Deutschland waren sie allemal. Das hat auch mit dem starken Zusammenhalt der Dominikaner zu tun. Wer in einer finanziellen Krise steckt, wird nicht allein gelassen. Bettler bekommen Wasserflaschen und Essensreste von Mototaxi-Fahrern. Wenn Häuser durch eine Flut oder einen Hurrikan zerstört werden, packt die gesamte Nachbarschaft mit an. Auch deshalb sagt Azeroth: „Hier funktioniert das Leben noch.“ Als der 47-Jährige und seine Familie zu Beginn der Pandemie nicht wussten, wie lange sie ihre Miete noch zahlen können, sagten seine Freunde: „Wir bauen euch ein Holzhaus, oder ihr wohnt bei uns. Reis und Bohnen gibt es bei uns immer. Aber geht nicht zurück nach Deutschland.“  

Kein Zurück nach Sachsen-Anhalt

Seit ein paar Monaten geht es in Sachen Tourismus nun wieder bergauf, die Flieger aus Deutschland sind bis auf den letzten Platz besetzt. Auf dem gleichen Niveau wie vor der Pandemie aber sind sie trotzdem noch lange nicht. „Wir haben auf kleinere Touren und Individualreisen umgestellt“, sagt Azeroth, „das klappt ganz gut.“ Ein paar Jahre lang wollen er und Doreen den Job noch machen – den nächsten Traum aber haben sie schon vor Augen. Irgendwann, wenn die Kinder mit der Schule fertig sind, will sich das Paar ein Grundstück im Landesinneren kaufen. Ein einfaches Haus in den Bergen, weit weg vom Trubel an der Küste. Dann wollen sie Obst und Gemüse anbauen, ein paar Schweine und Hühner halten, vielleicht auch eine Kuh. Eine Rückkehr nach Deutschland jedenfalls kommt für den Auswanderer nicht in Frage. „Wir sind hier glücklich und zufrieden. Warum sollten wir zurück?“


Der Artikel erschien zuerst in der Mitteldeutschen Zeitung und auf mz.de.