Uwe Gerlach

Per Militärfrachtflieger auf Entdeckungstour

Uwe Gerlach ist, könnte man sagen, ist „typisch deutsch“. Er trinkt gern Bier, liebt Stollen, das Erzgebirge und Thüringer Rostbratwürste und teilt auf Facebook humorige Sprüche wie „Wer Bier nicht liebt und Weib und Knödel, der bleibt ein Leben lang ein Blödel.“ Doch hinaus in die Welt gezogen hat es ihn schon immer. Vielleicht, weil eine Lehre als Lokführer zum Reisen inspiriert. Nur stand ihm in seiner Jugend die Berliner Mauer im Weg. Als sie fällt, packt ihn das Reisefieber. 

1990 geht es mit dem Interrail nach Portugal und Marokko, in den Jahren darauf als Rucksackreisender nach Indien, Nepal, Malaysia, Ägypten, Jordanien, Bolivien, Chile und schließlich Peru. Dort verliebt er sich nicht nur in das Land, sondern auch in seine erste Frau, ebenfalls eine Peruanerin. „Seit 1993 gab es kein Jahr, in dem ich nicht hier war“, erzählt der 54-Jährige. In Peru, das merkt der Auswanderer schnell, sind private Kontakte Gold wert. 

“Das Leben ist viel einfacher als in Deutschland, aber nicht unbedingt schlechter.”

Uwe Gerlach

Durch die Familie seiner damaligen Frau lernt er Land und Leute kennen, wandert durch den Regenwald und fliegt mit einer Antonov An-32B, einem Militär-Frachtflieger, „an Orte, die kein Tourist je zu sehen bekommt“. In die mitten im Regenwald liegende Stadt Puerto Esperanza zum Beispiel, die nur wenige hundert Einwohner zählt. „Eine richtige Insellage, ähnlich wie Iquitos, aber schwerer zu erreichen“, sagt Gerlach. „Dort kommt man auf dem Land- oder Wasserweg gar nicht hin.“

Mit einer Antonov wie dieser flog Uwe Gerlach über den Amazonas. (Foto: Gerlach)

Die Ehe zerbricht schließlich, doch die Liebe zu Peru bleibt. Bei einem Besuch von Freunden in Iquitos, der größten Stadt im tropischen Regenwald Perus, verliebt er sich schließlich neu, in Nelly. Die 39-Jährige geht mit ihm nach Deutschland, doch dass die beiden irgendwann zurück in den Amazonas wollen, steht damals schon fest. 

Leichensäcke in Abstellräumen 

„Das Leben ist viel einfacher als in Deutschland, aber nicht unbedingt schlechter“, sagt der Auswanderer. Luxus sucht man hier vergeblich, in den meisten Häusern gibt es nur das Notwendigste, Strom nicht immer. „Viele Menschen leben hier von der Hand in den Mund“, sagt Gerlach, „Ersparnisse haben sie nicht.“ 

Das wurde vor allem in Zeiten der Corona-Pandemie zum Problem. „An die Ausgangssperre hat sich keiner gehalten, die Menschen leben und arbeiten ja auf der Straße“, sagt Gerlach. Gerade auf den Straßenmärkten, in denen sich die Menschen dicht an dicht durch die Gänge schieben, hatte das Virus in den vergangenen Monaten so leichtes Spiel. Iquitos hat es nach der peruanischen Hauptstadt Lima am stärksten getroffen, Krankenhäuser und Krematorien waren monatelang überfüllt, durch die abgeschiedene Lage gab es dramatische Engpässe bei Medikamenten und Sauerstoffkompressoren. 

Gerlach erzählt von verstorbenen COVID-Patienten, die in Abstellräumen und auf Krankenhausfluren übereinander gestapelt wurden, aus Mangel an Särgen in Müllsäcke gehüllt. „Die kamen mit den Leichen kaum hinterher.“ 

Erst durch eine Spendenaktion auf Facebook, ins Leben gerufen vom örtlichen Pastor Miguel Fuertes, kommt das Krankenhaus in Iquitos zu einer Sauerstoffabfüllanlage, die wiederum den Sauerstoff für die für COVID-Patienten lebensnotwendigen Beatmungsgeräte liefert. Zwölf Stunden später hatte er die notwendige Summe von 400.000 Soles bereits zusammen. Am nächsten Tag waren es bereits 1,5 Millionen Soles, umgerechnet 360.000 Euro, mit denen drei Anlagen gekauft werden konnten. 

Keine Gäste seit Corona

Mittlerweile ist die Lage in aber auch im Santa Clara de Nanay jedoch deutlich entspannter. „Hier und in ganz Iquitos ist es jetzt sehr ruhig geworden“, sagt Gerlach. Die Ausgangssperre, die es zuletzt noch an Sonntagen gab, ist vor wenigen Wochen aufgehoben worden. Und auch seinen Biergarten kann der Gastwirt, nachdem die Restaurantküche über Monate kalt blieb, wieder aufmachen. Und auch wenn die Infektionen – wie aktuell in Deutschland – wieder steigen sollten, Sorgen um die Zukunft des Familienrestaurants macht Gerlach sich nicht. „Mit den Mieteinnahmen aus Deutschland kommen wir gut über die Runden.“ 

Einen Plan B, irgendwann nach Sachsen-Anhalt zurückzukehren, hat er also nicht? „Es ist schön, einmal im Jahr zurück nach Deutschland zu kommen“, antwortet Gerlach diplomatisch. Sowieso sind seine Kontakte in die Heimat überschaubar. Seine Mutter lebt heute in Nordhausen, sein Freundeskreis ist eher in Baden-Württemberg und dem Erzgebirge, wo er jahrelang als Lokführer gearbeitet hat. Nur zu einem Klassenkameraden in Badersleben hat er noch Kontakt. Und trotzdem: Ein Stück mitteldeutsche Heimat hat er auch in Peru bei sich. „Schwibbogen und Räuchermännchen, um Weihnachten wie daheim zu feiern.“

Der Artikel erschien zuerst auf MZ.de.