Jana Müller hat nach ihrem Studium zahlreiche Bewerbungen geschrieben – aber einfach keinen Job bekommen. Ihr berufliches Glück fand sie schließlich in der Schweiz. Warum sie dennoch gern in ihre Heimat zurückkehren würde.

Von Janine Gürtler


Wäre die „Generation Praktikum“ nicht gewesen, wäre Jana Müller wahrscheinlich nie ins Ausland gegangen. „Ich bin ein typischer Arbeitsmigrant“, sagt Müller von sich selbst. Die Harzgeroderin hat vor 13 Jahren an der Uni Halle Erziehungswissenschaften studiert, nach ihrem Abschluss aber einfach keinen Job gefunden. 2006 war das. „Das war wirklich eine krasse Zeit damals“, blickt die heute 40-Jährige zurück. Die Zeit der Dauerpraktikanten. 

Mit guten Noten in der Tasche tingelten Hochschulabsolventen durch Praktika, die häufig schlecht bezahlt und noch häufiger unbezahlt waren. Müller schob nach dem Studium bewusst ein Auslandsjahr als Animateurin auf Mallorca ein, in der Hoffnung, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt danach verbessern würde. Doch Müllers Hoffnungen platzten mit jeder abgelehnten Bewerbung. 80 Bewerbungen schrieb sie in drei Monaten. „Ich musste wieder zu meinen Eltern ziehen. Mir fiel die Decke auf den Kopf, so hatte ich mir das überhaupt nicht vorgestellt – wieder in meinem alten Kinderzimmer zu leben.“ 

Mit der Luftmatratze nach Zürich

Erst als sie sich auch im Ausland bewarb, wendet sich das Blatt. Sie bekommt eine Erzieherstelle für Krippenkinder in Zürich. In der Schweiz ist sie bis dahin noch nie gewesen. „Ich kannte gar nichts“, erinnert sich Müller. Viel Zeit zum Überlegen oder Zweifel bleiben ihr nicht. Drei Wochen nach dem Bewerbungsgespräch soll sie anfangen. In einer Hauruck-Aktion zieht sie in eine Wohnung, die ihre neue Chefin ihr besorgt hat.

„Ich bin vor Einsamkeit fast durchgedreht.“

Jana Müller

Mit der Mitfahrgelegenheit geht es über die Grenze, im Gepäck hat die       Harzgeroderin nur einen Rucksack und eine Luftmatratze. Die ersten zwei Wochen schläft sie auf dem Boden, lebt aus ihrem Rucksack heraus. Aber das ist Müller egal. „Ich wollte ja unbedingt arbeiten.“ Die ersten Wochen und Monate sind trotzdem alles andere als einfach. Sie wohnt die ersten eineinhalb Jahre in einer Neubausiedlung am Stadtrand, bevor sie näher ans Stadtzentrum zieht. „Da war so anonym, ich bin vor Einsamkeit fast durchgedreht“, sagt sie. Hinzu kommt, dass die Harzgeroderin die Unterschiede zwischen Schweiz und Deutschland anfangs einfach unterschätzt hat. 

Ein komplett anderes Land

„Es ist ein komplett anderes Land“, sagt Müller. Das fängt schon bei der Sprache an. Denn obwohl die Schweizer in der Mehrheit Deutsch sprechen, sind viele Begriffe im Alltag aus dem Schweizerdeutschen Dialekt. Müller wusste anfangs weder, was ein „Zürisack“ ist (so nennen sich die speziellen Müllsäcke, in denen der Restmüll entsorgt wird) noch was „Halbtax“ bedeutete. Dadurch war sie eine ganze Weile lang unwissend als Schwarzfahrerin unterwegs.

Denn das „Halbtax“-Ticket, mit dem man günstig mit Bahn, Bus, Straßenbahn und sogar dem Schiff reisen kann, gilt nur dann, wenn man den Swiss Pass besitzt, das Pendant zur Deutschen Bahncard. Müller aber kaufte wochenlang das günstige Halbtax-Ticket ohne den Swiss Pass zu haben. „Das musste ich alles erst lernen“, sagt Müller und lacht. 

Für Nadine Müller hatte der Umzug nach Zürich so seine Tücken. (Foto: privat)

Abseits von solchen Fauxpas hat Müller ihr neues Heimatland aber schnell lieben gelernt. „Zürich ist eine der Städte mit der höchsten Lebensqualität und das merkt man sehr schnell“, sagt die 40-Jährige. Von Zürich sind die berümten Schweizer Berge nur einen Katzensprung entfernt, an heißen Sommertagen springen die Zürcher in den „Zürisee“ (wie die Schweizer den Züricher See nennen) oder in eines der zahlreichen Flussbäder der Limmat. Dazu kommt die schier unglaubliche Vielfalt an Kulturangeboten, die im teuren Zürich oft kostenlos sind. „Man muss gar nicht so viel ausgeben, wenn man eine schöne Zeit haben möchte“, sagt Müller.

Apropos Zeit. Dass die Uhren in der Schweiz etwas langsamer als in Deutschland ticken, hat auch sie lernen müssen. „Die Schweizer brauchen wirklich länger, um eine Entscheidung zu treffen und wollen alles demokratisch entscheiden“, sagt Müller und lacht. Das merkt sie auch bei ihrem jetzigem Job als Hortleiterin immer wieder. „Wenn ich auf der Arbeit sage `Zack, zack, wir müssen eine Entscheidung treffen – dann bin ich immer ‚die Deutsche‘.“ Die Gemütlichkeit der Schweizer habe aber auch ihre guten Seiten, betont Müller und scherzt: „Hier stirbt wahrscheinlich niemand so schnell an einem Herzinfarkt.“  

Hat sich das Abenteuer Schweiz gelohnt?

Hat sich das Abenteuer Schweiz für die Harzgeroderin also gelohnt?  Jana Müller sagt ganz klar „Ja“. Nur ein Jahr nachdem sie ihren Job in der Krippe angefangen hatte, wechselte sie zu einer Grundschule als Erzieherin im Hort. Nur mit Krippenkindern im Kleinkindalter zu arbeiten war ihr zu wenig. Ihre Eltern schlugen damals die Hände über den Kopf zusammen. „Die konnten das schwer nachvollziehen.“ Für Müller kam mit dem Jobwechsel aber auch der Karrieresprung. Nach zwei Jahren wurde sie Hortleiterin, hat heute 15 Mitarbeiter unter sich und betreut Kinder im Alter zwischen vier und zwölf Jahren. „Ich weiß nicht, ob das in Deutschland so schnell gegangen wäre.“ 

„Mir wurde sehr früh sehr viel Verantwortung übertragen.“

Jana Müller

Was Müller an ihrem Job liebt, ist das Vertrauen und Wertschätzung, die ihre Vorgesetzten ihr hier entgegenbringen. „Mir wurde sehr früh sehr viel Verantwortung übertragen.“ Seit kurzem ist ihre Schule eine Ganztagesschule, eine der ersten Einrichtungen in Schweiz, die alle Kinder über die Mittagszeit und am Nachmittag betreuen. Drei Jahre hat die Umstellung gedauert, das Konzept für den Ganztageshort hat Müller selbst erarbeitet. „Meine Chefin hat oft gesagt ‚Komm, mach das selbst. Du kennst dich damit aus.‘“, sagt die Erzieherin. „Das war natürlich ein tolles Gefühl.“

Heute, sagt Müller, lebt sie in der Schweiz sorgenfreier als in Deutschland. Auch wenn die Lebensmittel und die Mieten hier deutlich teurer sind – durch ihr hohes Gehalt bleibe am Ende des Monats immer noch genug übrig, um das Leben zu genießen. „Ich kann Geld zur Seite legen oder einen Urlaub im Vier-Sterne-Hotel planen ohne groß darüber nachzudenken“, sagt Müller. Wäre sie als Erzieherin in Deutschland geblieben, meint sie, sähe das ganz anders aus.

Putzige Männer, scheue Kollegen

Schwierig war es für die Harzgeroderin  jedoch, in Zürich neue Freundschaften zu schließen. Denn die Schweizer, sagt Müller, sind eher verschlossen, trennen strikt zwischen Privatem und der Arbeit. Und dagegen kam sie nur mit viel Eigeninitiative und einem Hauch Dreistigkeit an. „Hier lädt man sich immer selber ein oder drängelt sich ein bisschen auf“, lacht Müller. Und auch in Sachen Dating ticken die Schweizer ein wenig anders. Oder ist es Müller, die anders tickt?

Glücklich in Zürich: Die in Harzgerode geborene Jana Müller mit ihrer vierjährigen Tochter. (Foto: privat)

„Ich glaube, sie konnten einfach nicht mit meiner Art“, sagt sie und lacht. „Ich fand sie recht putzig, aber ich war eher forsch und direkt und das war glaube ich auf Dauer nicht so ihr Ding.“ Ihren Partner Sascha hat sie in Berlin kennengelernt, einen IT-Berater aus dem Schwarzwald. Er zog für sie nach Zürich, heute sind sie seit neun Jahren zusammen und haben eine vierjährige Tochter, Elisa. Für ihn als Süddeutschen, sagt Müller, fühlt sich die Schweiz eher wie seine Heimat an. 

Sehnsucht nach Sachsen-Anhalt

Obwohl Zürich auch für Jana Müller längst ein neues Zuhause geworden ist – für immer hier bleiben will sie nicht. Dafür vermisst sie ihre Familie und auch ihre Heimat zu sehr. Gerade jetzt, wo ihre vierjährige Tochter langsam in das Grundschulalter kommt, denkt die 40-Jährige öfter darüber nach, mit ihrer Familie nach Sachsen-Anhalt zurückzukehren.

Sorgen, hier keinen Job zu finden, macht sich Müller heute nicht. „Wenn ich im Internet nach Jobs für Sozialpädagogen in Halle oder Leipig suche, dann erscheinen sofort 20 Treffer“, erzählt sie. Keine Überraschung, wenn man bedenkt, dass sich der bundesweite Lehrer- und Erziehermangel besonders in Sachsen-Anhalt und Sachsen bemerkbar macht. Für Müller ein Grund mehr, über eine Rückkehr nachzudenken. „Der Grund, warum ich weggegangen bin, war die Arbeit. Warum sollte ich jetzt, wenn es zu Hause Arbeit gibt, länger hierbleiben?“ (mz)

Infobox: Zürich – Stadt der Superlative

Zürich ist weltweit eines der teuersten Pflaster. Ein Restaurantbesuch für zwei kostet hier rund 72 Franken (umgerechnet etwa 66 Euro), heißt es in einer aktuellen Studie von Deutsche Bank Research. Damit sei Zürich bei weitem „der teuerste Ort für ein Date“, folgern die Analysten. Und empfehlen, „frühzeitig einen Partner fürs Leben zu finden und zu überzeugen nachts zu Hause bleiben, zu Hause zu essen und fernzusehen“ – und so viel Geld zu sparen.

Gleichzeitig verdienen die Züricher aber im weltweiten Vergeich auch besonders gut, im Durchschnitt 5.385 Euro Netto. Hat Zürich jahrelang den Spitzenplatz als Metropole mit den höchsten Gehältern für sich beansprucht, muss sich die Schweizer Stadt in diesem Jahr jedoch mit Rang Zwei begnügen. Nur in San Francisco verdienen die Menschen im Schnitt noch mehr, heißt es in dem Bank-Ranking. 

Die insgesamt höchste Lebensqualität messen die Autoren dennoch Zürich bei. Der entsprechende Index berücksichtigt Faktoren wie Kaufkraft, Sicherheit, Gesundheitsvorsorge und Verkehrsstaus. Unter die besten zehn Städte in dieser Betrachtung hat es übrigens keine deutsche Stadt geschafft. Frankfurt und Berlin landen auf den Plätzen 11 und 12. (jgü)


Der Artikel erschien zuerst auf MZ.de.