Markus Klenner in Moskau

Eigensinnige Kollegen, korrupte Polizisten und Selbstdiagnosen in der Apotheke: Markus Klenner aus Sangerhausen hat es beruflich nach Moskau verschlagen. Nach elf Jahren kann er sich eine Rückkehr nach Sachsen-Anhalt durchaus vorstellen.

Von Janine Gürtler

Eigentlich wollte er gar nicht rüber. „Da laufen Bären über den Roten Platz, es ist immer kalt, und man wird sofort erschossen, wenn man sich mit dem falschen Sicherheitsbeamten anlegt“, beschreibt Markus Klenner sein einstiges Bild von Moskau und grinst. Heute sieht der gebürtige Sangerhäuser die russische Millionenstadt mit anderen Augen. Schließlich lebt er seit elf Jahren hier. 

2009 ist der 45-Jährige nach Moskau ausgewandert. Nicht, um sich einen langgehegten Traum zu erfüllen, sondern weil sein zukünftiger Chef hartnäckig war, sagt er. Vor seinem Auslandsabenteuer war Klenner Abteilungsleiter bei einem Speditionsunternehmen in Freiburg im Breisgau im Schwarzwald. Knapp 50 Leute hat er unter sich, organisierte die Logistik von über 3.000 Lkw-Sendungen pro Woche in Europa. Bei einer Stippvisite in Deutschland lädt ein russischer Großkunde – ebenfalls ein Logistikunternehmen – ihn nach Moskau ein. „Wir waren so oft bei dir“, sagt der, „du kommst jetzt nach Russland und schaust dir das mal an.“ Und das macht Klenner. 

Klirrend kalte Minus 24 Grad erwarten ihn, als er im Januar anreist. Und frostig könnte man auch die Stimmung bei seinem ersten Bürobesuch nennen. „Die Abteilungsleiterin für Lkw-Verkehre und heutige Direktorin hat mich direkt in die Mangel genommen“, erinnert sich der Auswanderer. Sie beschwert sich über zu wenige Sendungen aus Deutschland und die hohen Preise. Klenner ist vollkommen überrumpelt.

Die erste Konfrontation lehrt ihn aber auch, dass Russen die Arbeit strikt vom Privaten trennen. „Im Büro herrscht ein harter Umgangston, aber man kann immer über alles reden. Und am selben Abend haben wir das bei einem Restaurantbesuch wieder ausgebügelt.“ Der 1,98 Meter große Hüne wird in Moskau förmlich hofiert, von Kollegen in Restaurants und Clubs eingeladen und bekommt sogar eine private Stadtführerin und Fahrerin, um während des Kurztrips die Stadt für sich zu erkunden. 

Markus Klenner hatte vor seinem ersten Besuch in Moskau so gar keine Lust auf Russ-
land. Dann verliebte er sich in eine Moskauerin – und blieb. (Foto: AnaBel)

Nach Moskau ausgewandert: Liebe zog ihn nach Russland

Moskau, das merkt er schnell, ist laut, chaotisch, nervenaufreibend. Überall hört man den Verkehr, der Moskaus Straßen jeden Tag aufs Neue verstopft. Trotzdem ist der Sangerhäuser begeistert. Klenner durchläuft die halbe Stadt zu Fuß, schaut sich den Roten Platz an (und sieht keine Bären), den Kreml, das Lenin-Mausoleum, das Bolschoi-Theater. Was ihn am Ende aber wirklich nach Russland zieht, ist Maria. Die beiden lernen sich bei einem Abendessen unter Kollegen kennen. Die quirlige Moskauerin arbeitet im selben Unternehmen und hat ein besonderes Talent, Fremde in Gespräche zu verwickeln. Es funkt auf Anhieb.

Sein Chef meinte zwei Wochen später zu ihm: „Ich merke, da ist was zwischen euch. Wenn du willst, kannst du bei uns arbeiten.“ Große Überzeugungsarbeit braucht es da nicht mehr. „Ich wollte sowieso was anderes machen. Meine Freunde waren alle in den USA, in Australien, Südafrika, Irland, überall in der Welt verteilt – und ich saß immer noch in Freiburg fest“, erzählt der Mann aus Sangerhausen.  

Ohne Russischkenntnisse nach Moskau

Klenner stürzt sich blindlings ins Abenteuer. Als er im Dezember 2009 sein neues Leben in Moskau anfängt, kennt er weder die Kultur noch hat er je mit seiner Freundin zusammen gewohnt. „Ich habe mich überhaupt nicht vorbereitet“, gibt er zu. Maria ist zu dem Zeitpunkt im sechsten Monat schwanger. „Also haben wir neben dem Umzug in unsere erste gemeinsame Wohnung auch die Hochzeit geplant“, erinnert sich der heute 45-Jährige. „Das ging alles recht schnell, vielleicht zu schnell“, wie er heute zugibt. 2019 ging die Ehe nach zehn Jahren in die Brüche. Bereut hat er die Blitzhochzeit aber nie. „Es war eine absolute Herzensangelegenheit.“

“Ich bin nicht mal Butter kaufen gegangen ohne meine Frau.”

Markus Klenner

Bei seinen Russischkenntnissen hat Klenner zunächst Nachholbedarf. „Ich habe in der zehnten Klasse Russisch sofort abgewählt und gedacht, das brauche ich nie wieder.“ Als er nach Moskau zieht, kann der Sachsen-Anhalter seinen Namen sagen und bis 20 zählen, zu viel mehr reicht es nicht. Im ersten Monat traut er sich deshalb kaum, allein aus dem Haus zu gehen. „Ich bin nicht mal Butter kaufen gegangen ohne meine Frau.“

Russisch lernen mal anders: Nur mit Spickzettel an die Tankstelle

Irgendwann fasst er sich ein Herz, heuert eine Russischlehrerin an und büffelt Vokabeln. Mit einfachen Sätzen wie „Wo ist die Butter?“ oder „Einmal Haare schneiden“, erobert er sich Moskau Stück für Stück auf eigene Faust. „Nur in die Waschanlage und an die Tankstelle bin ich lange nicht allein gefahren.“ Denn an russischen Tankstellen steht im Gegensatz zu Deutschland ein Tankwart an der Zapfsäule und betankt das Auto. „Ich konnte mir die Sätze einfach nicht merken und musste immer auf einem Zettel zeigen, was und wie viel ich tanken wollte.“ 

Heute spricht der Sangerhäuser fließend russisch, seine beiden Kinder, Martin (9) und Sophie (11), sind zweisprachig aufgewachsen. Wenn ein Arzttermin ansteht, wird Markus Klenner allerdings heute noch nervös. Nicht etwa, weil die Sprache das Problem ist, sondern weil er sich dort fühlt wie früher beim Testat in der Schule. „Als ich mit meiner Tochter wegen Magenschmerzen in der Poliklinik war, haben die Ärzte mich angegiftet, weil ich nicht wusste, welche Temperatur sie vor drei Tagen hatte“, erzählt er. „Dabei war sie da noch gar nicht krank.“

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