Sowieso, sagt Radenz, dürfe man nie vergessen, dass die Arktis eine lebensfeindliche Umgebung sei. „Hier können schon kleine Unfälle massive Folgen haben.“ Auch immer im Hinterkopf: die Gefahr durch Eisbären. Besonders bei einer Zeltübernachtung im Forschungscamp auf dem Eis, erinnert sich Radenz. „Wenn dann nur eineinhalb Meter Eis unter einem liegen, und das Schiff nicht mehr in Sichtweite ist, ist das schon ein Naturereignis, das demütig macht.“

Zwei Eisbären in der Nähe der „Polarstern“. Als das Bild entstand, war gerade kein Mensch auf dem Eis. (Foto: Esther Horvath/ Alfred-Wegener-Institut)

In seiner Zeit an Bord der Polarstern habe es nur einen Eisbärenbesuch auf der Scholle gegeben, bei anderen Crews teilweise täglich. Gefährlich wurde es dabei allerdings nie, dafür haben er und seine Teamkollegen in abwechselnden Schichten als Eisbärwächter gesorgt. 

Leben auf der Polarstern: Wie verbringt man seine Freizeit am Nordpol?

Ein „Wochenende“ kannten die Forscher während der Expedition übrigens nicht. Am Samstag und Sonntag liefen die Forschungsarbeiten normal weiter, nur der Sonntagvormittag blieb frei. „Nach ein paar Monaten fängt man dann schon irgendwann an, die Tage zu zählen“, gibt der Forscher zu. Durch den ewigen Tag im Polarsommer geht das Zeitgefühl verloren. „Frühstück, Mittag- und Abendessen haben unseren Tag strukturiert“, so der Forscher. Das Essen auf der „Polarstern“ sei ausgezeichnet. Doch gegen Ende der Expedition leerten sich die Lager. „Irgendwann gab es kein Obst mehr, dann fehlten die Eier“, erzählt Radenz.

Die knappe Freizeit am Tag verbrachte er mit Sport: „Wir haben Fußball und Frisbee auf dem Eis gespielt.“ Abends sei er in den Fitness-Raum gegangen oder habe mit Kollegen Musik gehört. Durch die Nähe auf dem Schiff lernte sich die Crew gut kennen. „Aus Kollegen werden so Freunde“, so Radenz. Der Kontakt zur Außenwelt war beschränkt. Radenz und seine Teamkollegen blieben mit ihrer Familie per Satellitentelefon in Kontakt. „Für Kollegen mit Kindern ist die Situation mitunter schwierig, wenn es in der Heimat Probleme gibt.“ Der 29-Jährige und viele seiner Kollegen stürzten sich deshalb in die Arbeit: „Auch abends habe ich oft noch die Ergebnisse des Tages ausgewertet.“ 

Ein Großteil der Arbeit liegt aber noch vor den Wissenschaftlern. Denn die Auswertung der gesammelten Daten, – eineinhalb Terabyte allein vom Tropos Institut – wird noch Jahre dauern, wenn nicht Jahrzehnte. Eines aber ist heute schon klar. Die Arktis heizt sich auf, und das immer schneller. Die Temperaturen im Winter lagen um rund zehn Grad Celsius über dem, was der norwegische Polarforscher Fridtjof Nansen vor über 130 Jahren in der Arktis gemessen hat. Im Juli haben die Forscher in 300 Metern Höhe sage und schreibe 14 Grad gemessen – extrem hohe Temperaturen für die Arktis. Radenz: „Hier sieht man den Klimawandel im Schnelldurchlauf.“

Mosaic-Fahrt in Zahlen

389 Tage dauert die Expedition, die im September 2019 im norwegischen Tromsø gestartet war. 

Bis auf 156 Kilometer an den Nordpol heran. Nie zuvor war ein Schiff im Winter so weit nördlich.

Minus 42 Grad war der Kälterekord, der auf der Scholle gemessen wurde. Die gefühlte Temperatur lag wegen des starken Windes sogar bei unter minus 65 Grad.


Der Artikel erschien in der Mitteldeutschen Zeitung und Leipziger Volkszeitung.