Riesige Wochenmärkte, bittere Armut

Auch an Santa Cruz selbst verliert sie schnell ihr Herz. Sie liebt das geschäftige und laute Treiben auf den Straßen, die bunten Häuser, von denen keines dem anderen gleicht, und die riesigen Wochenmärkte, in denen „Fleisch auch bei 36 Grad an der frischen Luft hängt“. 

In Bolivien sind die Märkte im Gegensatz zu Europa noch immer die wichtigsten Umschlagplätze von Lebensmitteln. (Foto: Lesly Derksen on Unsplash)

Sie probiert Früchte, von denen sie zum Teil noch nie gehört hat. Chirimoya zum Beispiel, eine Art süßer, grünlicher Apfel, deren Geschmack an Birnen erinnert, oder Achachairú, eine kleine süß-saure Frucht aus dem bolivianischen Regenwald, die es nur jetzt im August und September gibt. Und sie gewöhnt sich an das typische bolivianische Frühstück, dass für deutsche Mägen eher einem Abendessen gleicht: Salteñas (mit geschmortem Fleisch und Gemüse gefüllte Teigtaschen).  

Aber Bolivien, merkt die junge Frau, ist ein Land mit zwei Gesichtern. Während die 27-Jährige in einem der wohlhabenderen Viertel von Santa Cruz wohnt, in denen die Wohnkomplexe von Sicherheitskräften bewacht werden, stehen in anderen Ecken der Stadt Armut und Kriminalität auf der Tagesordnung. „Viele Menschen leben von der Hand in den Mund“, sagt die Auswanderin, „und die Quarantäne verschlimmert die Situation noch.“ 

Menschen sterben auf den Straßen

Das ohnehin marode Gesundheitssystem des Landes steht seit Ausbruch des Coronavirus vor dem Kollaps. In Santa Cruz, aber auch in anderen Teilen Boliviens, sind die Krankenhäuser hoffnungslos überlastet. Auf der vergeblichen Suche nach einem Krankenhaus, das sie aufnimmt, sterben viele infizierte Menschen auf der Straße oder in ihren Autos.

“Viele Menschen leben von der Hand in den Mund und die Quarantäne verschlimmert die Situation noch.”

Mandy Engelhardt

Hunderte Leichname von Corona-Opfern wurden zuletzt landesweit in Straßen geborgen und aus Wohnungen geholt. „Meine Freunde verstehen das oft nicht, aber viele Menschen hier können sich eben keine Masken, Handschuhe oder Desinfektionsmittel leisten“, sagt Engelhardt. „Die Leute gehen weiter auf die Märkte, oft ohne Schutz. Natürlich steckt da einer der anderen schnell an.“

In dem südamerikanischen Land hat sich das Coronavirus rasend schnell ausgebreitet. Bolivien zählt über 124.000 bestätigte Corona-Fälle, Santa Cruz zählt rund ein Viertel davon. Die Dunkelziffer liegt jedoch um einiges höher, schätzen Experten. 

Hinzu kommen politische Unruhen, die das Land bereits 2019 in eine Krise stürzten und nun erneut aufflammen. Und die sind es letztendlich, die die Frau aus Sachsen-Anhalt dazu bewogen haben, Bolivien vor dem offiziellen Ende des Schuljahres im November zu verlassen. „Die Stimmung in Bolivien schlägt hier so schnell um. Von einem auf den anderen Tag kann es wieder Straßensperren wie im vergangenen Jahr geben – dann kommt man nicht mal mehr zum Flughafen.“

In wenigen Tagen steht ihr Rückflug nach Deutschland an. „Es ist ein richtig mulmiges Gefühl, nach drei Jahren förmlich zu fliehen“, sagt die Auswanderin, „und die Kinder ohne richtige Verabschiedung zu verlassen.“ Dazu kommt, dass sie zu Hause in Deutschland weder eine eigene Wohnung noch eine feste Arbeitsstelle hat. „Ich müsste erstmal wieder in meinem Kinderzimmer einziehen.” Auch deshalb will die Sachsen-Anhalterin ihren Traum vom Unterrichten im Ausland noch nicht ganz begraben. Vor ein paar Wochen hat sie sich an verschiedenen Deutschen Schulen in Südamerika beworben. Die Antwort steht noch aus. 


Der Artikel erschien auf MZ.de.