Janine Naumann aus Zörbig hat es erst nach Australien, dann nach Kanada verschlagen. Eine Rückkehr nach Sachsen-Anhalt konnte sie sich 14 Jahre lang nicht vorstellen – bis jetzt.
Von Janine Gürtler
Die Welt ist ein Dorf, heißt es so schön. Janine Naumann aus Zörbig lebt diese Weisheit jeden Tag. Denn von Salzfurtkapelle, einem kleinen Dorf bei Bitterfeld-Wolfen mit gerade einmal 712 Einwohnern, ist die 35-Jährige nicht nur einmal um den halben Globus gezogen, sondern gleich zweimal. Erst ins 13.000 Kilometer entfernte australische Perth, dann 18.000 Kilometer weiter nach Toronto, Kanada. „Ich wollte schon immer die Welt sehen”, sagt Naumann.
2006 zog es die damals 21-Jährige während ihres internationalen Studiums in Berlin für ein „Work and Travel” nach Australien. Sechs Monate wollte sie hier arbeiten und das Land bereisen. „Als meine Mutti mich zum Bahnhof gebracht hat, hat sie geweint und gesagt: ‘Ich weiß, du kommst nicht wieder’”, erzählt die Auswanderin. „Ich habe nur gelacht und gesagt: ‘Na klar, in sechs Monaten bin ich wieder da.‘” Ihre Mutter kannte sie da wohl besser.
Neuanfang in Down Under
Denn aus geplanten sechs Monaten in Down Under wurden ganze zehn Jahre. Wann genau sie beschloss, ihr Leben in Deutschland hinter sich zu lassen, weiß Janine Naumann nicht mehr genau. „Das ist automatisch passiert.”
Wobei es anfangs ganz und gar nicht danach aussah. Denn schon in den ersten paar Monaten hätte Naumann am liebsten alles hingeschmissen. Drei Monate jobbt sie als Erntehelferin in New South Wales, schuftet zwölf Stunden am Stück auf dem Feld, sieben Tage die Woche. „Das war der härteste Job, den ich je hatte”, sagt Naumann. Wenn sie abends todmüde ins Hostelbett fällt, fühlt sie sich allein: Sie kennt niemanden, versteht den Slang der Australier nicht und sieht nichts vom Land. „Die ersten Wochen habe ich quasi jeden Abend geweint.” Reiseromantik geht irgendwie anders.
„Die ersten Wochen habe ich quasi jeden Abend geweint.”
Doch irgendwann Naumann legt den Schalter um. Sie schließt Freundschaften, reist die Ostküste hoch und runter, arbeitet für zwei Monate als Au-pair in Sydney. Sie besucht Städte wie Brisbane, Adeleide, und Melbourne, reist über das australische Outback bis nach Perth an die Westküste. Und mit jedem Tag verliebt sie sich mehr in das Land. „Ich wollte einfach nicht zurück”, sagt die gebürtige Zörbigerin. Aus einem Urlaubssemester wird ein zweites, und weil sie immer noch nicht genug hat, macht sie ihren Studienabschluss in Perth.
Hier lernt Naumann auch ihre große Liebe kennen. Jamie ist gebürtiger Kanadier und lebt das Leben in vollen Zügen. „Jamie ist einer, der alles kann”, schwärmt die Auswanderin. Er hat einen Doktortitel im Ingenieurwesen und eine Pilotenlizenz, ist Rettungstaucher und liest immer drei bis vier Bücher gleichzeitig. „Das fand ich unglaublich attraktiv”, sagt sie.
2014 heiraten die beiden, noch im selben Jahr bekommt Naumann die australische Staatsbürgerschaft. In Perth arbeitet sie als Projektmanagerin in einer Beschilderungsfirma. Der Job hat nichts mit ihrem Studium zu tun, aber das stört sie nicht. „Familie ist für mich wichtiger als Karriere”, sagt Naumann. Beim Thema Kinder steht deshalb für beide auch schnell fest, dass sie Familie um sich haben wollen. „Deutschland kam für uns aber nie in Frage, weil Jamie nicht wirklich deutsch spricht.”
In Toronto trifft sich die Welt
Also zogen sie 2015 nach Toronto, in Jamies Elternhaus. Das war sie im siebten Monat mit ihrem Sohn Jake schwanger. „Im Nachhinein war das eine schlechte Idee”, lacht die junge Frau. All ihre Freunde sind in Australien, viele sind zur selben Zeit schwanger oder bereits junge Eltern. In Kanada dagegen kennt sie niemanden. Und hochschwanger bei den Schwiegereltern einzuziehen, war so auch nicht ihr Traum. Aber Jamies Familie nimmt sie herzlich sie auf. „Seine Familie ist viel größer als meine und die Liebe, die man hier erfährt, ist einfach der Wahnsinn”, sagt sie. Auch beruflich fassen sie Fuß: Ihr Mann steigt als Ingenieur in das Familiengeschäft ein, Naumann wird nach der Geburt ihres zweiten Sohnes Oscar Geschäftsführerin einer Personalvermittlung.
Hat sich die Reise um den halben Globus also gelohnt? „Wir sind glücklich hier. Toronto ist eine tolle Stadt”, schwärmt Naumann. Die Millionenmetropole ist so sauber, grün, und kinderfreundlich wie kaum eine andere: allein in ihrem Viertel The Junction gibt es zehn verschiedene Spielplätze, Schwimmbäder sind kostenlos.
Nur auf die langen, eiskalten Winter könnte sie verzichten. In Kanada fällt das Thermometer monatelang auf weit unter minus 10 Grad Celsius, nachts kann es bis zu minus 35 Grad runtergehen. Dann wird es so klirrend kalt, dass sogar die Wimpern einfrieren. „Dieses Jahr war es wirklich extrem, wir hatten sogar im Mai noch einen Schneesturm”, sagt Naumann. In diesen elend langen Monaten hat sie manchmal die Nase voll von Toronto. „Wenn man seine Kinder sieben Monate jeden Tag in Schneeanzüge steckt, wird das ganz schön eintönig.”
Doch sobald der Frühling einzieht, blüht das Leben hier wieder auf. „Das ist ein ganz anderes Gefühl als in Australien, wo es quasi immer warm ist”, sagt die Wahl-Kanadierin. Dann spielen die Kinder schon bei zehn Grad zum Teil barfuß auf dem Spielplatz. Und die Erwachsenen sitzen mit Schal, Mütze und Bier auf ihren Terrassen. „Das sind meine liebsten Tage in Toronto.” „Ich kenne keine einzige Familie, die nur eine Sprache zu Hause spricht.”
„Ich kenne keine einzige Familie, die nur eine Sprache zu Hause spricht.”
Was Naumann am meisten an Toronto begeistert, ist die Toleranz der Menschen. In der Metropole mit Einwohnern aus rund 150 Nationen trifft sich die Welt, hier verschmelzen fremde Kulturen, Sprachen, und Traditionen problemlos miteinander. „Ich kenne keine einzige Familie, die nur eine Sprache zu Hause spricht”, sagt die Auswanderin. Viele Kinder würden sogar drei- oder viersprachig aufwachsen. „Die Kanadier sind unglaublich freundlich und offen”, sagt Naumann, „und oft toleranter als die Menschen in Perth oder manchen deutschen Städten.” Trotzdem, sagt sie, wird Perth immer ein Zuhause für sie bleiben. „Wir haben hier Freunde fürs Leben gefunden, mit denen wir noch heute jede Woche in Kontakt sind.”
Mit ihren beiden Söhnen Jake (4) und Oscar (2,5) spricht Janine Naumann auf Deutsch, obwohl die beiden meist auf Englisch antworten. Mit der Corona-Pandemie hat sich das jedoch geändert. „Weil sie seit zwei Monaten keinen Kontakt mehr zu ihren kanadischen Freunden haben, sprechen die beiden jetzt fließend Deutsch.” Einfach sei die Zeit zwar nicht, meint die 35-Jährige, „aber wenigstens haben wir einen Garten, in dem die Kinder spielen können.” Wann sie ihre Familie in Deutschland wieder besuchen kann, steht dagegen in den Sternen. Dabei spürt sie gerade jetzt zum ersten Mal seit Jahren wirklich Sehnsucht nach ihrer alten Heimat.
Zurück nach Sachsen-Anhalt?
Von der Millionenstadt zurück ins Dorf, das klingt für die Weltenbummlerin auf einmal verlockend. „Meine Freunde haben mich bei meinem letzten Besuch in Zörbig mich gefragt, warum ich Kanada so toll fände”, erzählt sie. Schließlich habe sie weniger Urlaub und Krankentage als in Deutschland, der Mutterschutz sei kürzer, das Leben viel teurer. „An dem Abend habe ich meinen Mann gefragt: ‘Ja warum leben wir eigentlich nicht in Deutschland?’”. Seitdem hat sie der Gedanke nicht mehr losgelassen.
Doch sie sieht auch die negativen Seiten einer Rückkehr. Die Deutschen seien viel zu regelverliebt, Fremden gegenüber eher verschlossen und schauten nicht über den eigenen Tellerrand, meint die Auswanderin. “Die deutsche Kultur ist schon anders. Aber sie ist eben auch ein Teil von mir”, sagt Naumann. Und sie will, dass auch ihre Kinder ein Stück weit damit aufwachsen.
Denn ihre Familie wird bald noch größer, Naumann ist im neunten Monat schwanger. Auch deshalb spielt sie mit dem Gedanken, im Sommer nächsten Jahres für eine Zeit lang nach Zörbig zu kommen, um mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Als Test sozusagen, ob Deutschland für die Familie ein neues Zuhause sein könnte. „Für mich kommt es auf jeden Fall in Frage”, sagt sie, „ich muss nur meinen Mann überzeugen.” Nur eines steht schon fest: Für immer will sie nicht in Deutschland bleiben. Dafür ist das Fernweh zu groß.
Der Artikel erschien auf MZ.de.
Lust auf mehr bekommen? Dann abonniere meinen Blog und verpasse keinen meiner Beiträge!