Die Merseburgerin Hanni Heinrich erlebt den Lockdown im südafrikanischen Kapstadt. Die Realität der Corona-Pandemie kam hier erst spät an, könnte das Land aber umso härter treffen.
Von Janine Gürtler
Militärhubschrauber kreisen im Himmel, auf den Straßen patrouillieren Armee und Polizei mit Waffen und Mundschutz. Ansonsten herrscht Stille in Kapstadt, der südafrikanischen Metropole, in der das Leben sonst förmlich überquillt. Seit wenigen Wochen ist die Corona-Pandemie auch hier angekommen – und damit im Leben von Hanni Heinrich aus Merseburg. “Die vergangenen Wochen waren eigenartig und chaotisch”, sagt die 37-Jährige, die in Tamboerskloof, einem Stadtteil von Kapstadt lebt.
Seit sechs Jahren arbeitet die Auswanderin hier als Schauspielerin und freie Autorin – und sitzt derzeit wie alle Kapstädter im “Lockdown” fest. In Südafrika herrscht seit drei Wochen Ausgangssperre, eine der striktesten weltweit. Spazieren gehen: verboten. Joggen: verboten. Gassi gehen: verboten. “Wir dürfen nur noch zum Einkaufen oder in medizinischen Notfällen das Haus verlassen”, erzählt Heinrich.
Pandemie mit Verzögerung
Dabei kam die Realität der Pandemie erst mit Verzögerung in Kapstadt an. Während der SARS-CoV-2-Erreger Anfang März in Italien und Spanien bereits Tausende Menschen infizierte, tummelten sich in der südafrikanischen Metropole noch Massen europäischer Touristen. “Im Vergleich zur restlichen Welt war Corona da nur in den Nachrichten und noch keine Realität”, erzählt die Merseburgerin. Zwar wurde der erste Fall in Südafrika bereits am fünften März registriert, bis die Regierung eine Einreisesperre für Besucher aus Risikoländern in Kraft setzte, dauerte es aber noch knapp zwei Wochen.
“Die Stimmung ist gedrückt. Alle tragen Masken, jeder bleibt für sich.”
Bis zum 16. März. “Ab diesem Tag wurden alle Routinen langsam aber sicher unterbrochen”, sagt Heinrich. Seit knapp drei Wochen haben nun Schulen, Geschäfte und Bars geschlossen, Straßen und Strände sind menschenleer. “Es ist unglaublich ruhig überall”, erzählt die Auswanderin. Stand Kapstadt vor dem Virus wie kaum eine andere Stadt für Geselligkeit und Lebensfreude, gehen sich die Menschen nun aus dem Weg. “Die Stimmung ist gedrückt. Alle tragen Masken, jeder bleibt für sich.”
Heinrich hat gemischte Gefühle, wenn sie über die Pandemie spricht. Ihr persönlich gehe es gut, sagt sie. Zwar liegen viele ihrer beruflichen Projekte derzeit auf Eis, aber sie kann für einige Monate von Ersparnissen leben. Und der Krise kann sie auch positive Seiten abgewinnen. “Ich habe jetzt mehr Zeit für Dinge, die ich schon lange machen wollte.” Sie feilt an neuen Konzepten, treibt Sport, liest. “Das klingt alles so banal, aber jetzt komme ich runter. Auf der anderen Seite weiß ich, dass es gerade hier in Südafrika viele Menschen gibt, denen es nicht so gut geht wie mir.”
Die Armen trifft Corona härter
Heinrich spricht vor allem von den Menschen in den Armenvierteln Kapstadts, den Townships. Hier, wo viele auf engstem Raum leben, ist soziale Distanz nahezu unmöglich. Viele Bewohner haben zu Hause kein fließendes Wasser, müssen an öffentlichen Wasserstellen anstehen, oft dicht gedrängt. Hinzu kommt: Die Ausgangssperre bringt viele, die sowieso schon in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten, in Existenznot.
Die wenigsten in den Townships haben einen offiziellen Arbeitsvertrag, in den Wochen des Lockdowns verdienen sie also keinen Cent. Und die finanziellen Hilfen vom Staat sind verschwindend gering, sagt Heinrich. “Die Menschen kämpfen hier jeden Tag ums Überleben.” In den vergangenen Tagen kam es zu Unruhen, Shops wurden geplündert, die Polizei griff zum Teil mit Gewalt durch.
Krisenerprobtes Land
Hinzu kommt, dass Südafrikas Gesundheitssystem bereits durch andere Epidemien wie Aids oder Tuberkulose überlastet ist. Die Covid-19-Fallzahlen sind zwar deutlich niedriger als die in Europa – 2.415 Menschen sind laut jüngsten Zahlen des Gesundheitsministeriums infiziert, 27 Menschen gestorben (Stand 15. April). Doch Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO fürchten einen explosiven Anstieg der Infektionen. “Bei uns geht es jetzt erst richtig los”, glaubt Heinrich, “wie sich das alles entwickeln wird, daran will ich gar nicht denken.”
Doch auch wenn die größte Krise wohl noch bevorsteht – nach Deutschland will die Merseburgerin nicht zurück. “Die Südafrikaner sind krisenerprobt”, so Heinrich. Sei es durch die Aids-Epidemie oder die extreme Dürre vor wenigen Jahren, durch die das Trinkwasser knapp wurde. Vor den Supermärkten füllen sie und andere Kapstädter große Pappkartons mit Spenden für Bedürftige – rein kommt alles, was haltbar ist. Außerdem gibt es sogenannte “Buddy Calls”, bei denen sich wildfremde Menschen am Telefon einander Mut machen können, erzählt Heinrich. “Wir lassen uns nicht unterkriegen.”
Der Artikel erschien auf MZ.de.