Eigentlich wollte Nicole Khambule 2013 nur ein Praktikum in Kapstadt machen, geblieben ist sie bis heute. Die Herzlichkeit der Menschen in dem Land ist einer der Gründe, warum die Magdeburgerin nicht zurückkommen möchte.

Von Janine Gürtler

Manchmal ist das Leben kitschiger als jeder Liebesroman. Als Nicole Khambule auf dem Weg zu ihrem ersten Auslandsjob in den Flieger steigt, wartet rund 13.000 Kilometer entfernt schon ihr zukünftiger Mann auf sie. „Das wusste ich damals natürlich noch nicht“, sagt die gebürtige Magdeburgerin und lacht. Denn Liebe hatte die heute 32-Jährige so gar nicht auf dem Schirm, als sie 2013 für vier Monate nach Südafrika ging. Nach Ende ihres Entwicklungsforschungsstudiums in Berlin bewirbt sich Nicole Khambule um ein Stipendium und ergattert einen Praktikumsplatz bei einer Umweltorganisation in Kapstadt. „Project 90 x 2030“, so der Name des Teams, will Südafrikaner animieren, ihren CO2 -Fußabdruck zu reduzieren und setzt sich bei Politikern für erneuerbare Energien und eine bessere Nutzung von Ressourcen ein. Auch Happy ist Teil des Teams.

Der damals 24-Jährige aus Johannesburg kümmert sich als Koordinator für Politik und Forschung um die Zusammenarbeit von Nichtregierungs-organsationen, kurz NGOs, und Politik im Bereich Erneuerbare Energien. Während des Praktikums von Nicole Khambule wird er Mentor und Freund zugleich. Die Magdeburgerin merkt: Happy ist selbstbewusst, ohne arrogant zu sein, und weiß, was er vom Leben will. „Ich habe mich in seinen Kopf verliebt“, sagt die 32-Jährige.

Im Rahmen des Projektes reist Nicole Khambule mit einem deutschen Kollegen quer durch das Land, um Schulen umweltfreundlicher zu machen und Kinder für Naturschutz zu sensibilisieren. Aber wie motiviert man Lehrer und Schüler in ländlichen Regionen dazu, sich mehr mit ihrer Umwelt auseinandersetzen, wenn die meisten Menschen hier ganz andere Probleme haben? Das war die zentrale Frage, die sich die Magdeburgerin und ihr Team stellen mussten. Indem man mit kleinen Schritten anfängt. Mülltrennung zum Beispiel.

Nicole Khambule und ihr Mann Happy.

Doch: Wer normalen Plastikmüll recyceln will, muss dafür zum Recycling-hof fahren. „Das ist umständlich und wird daher selten gemacht“, sagt die junge Frau. Also hat das Project 90 x 2030 Umweltclubs in mehreren Schulen Südafrikas eingerichtet, um Kinder aufzuklären, wie sie Plastik und Biomüll richtig trennen und warum das der Umwelt hilft. Und dann gibt es auch die Ideen zum Naturschutz, die Schüler und Lehrer selbst entwickelt haben. „In einer Schule musste jeder fünf Rand (umgerechnet 30 Cent, Anm. der. Red.) bezahlen, wenn er alleine zur Schule gefahren ist und keine Mitfahrgelegenheit gegründet hat“, erzählt Khambule.

Kein Zurück mehr

Nach nur vier Monaten in Südafrika steht für die Magdeburgerin fest: Zurück nach Deutschland will sie nicht mehr. „Ich war einfach vom Land begeistert“, sagt die Zugezogene. Sie liebt das schöne, etwas verschlafene Kapstadt, wo die Menschen das Leben eher langsamer angehen lassen. Die Berge, die Weingebiete, das Meer all das macht die Millionenmetropole an der Südspitze Arikas für sie liebenswert. Sowieso vertraut die Magdeburgerin bei ihrer Entscheidung, auf Dauer in Südafrika zu leben, eher ihrem Bauchgefühl.

„Ich war fertig mit dem Studium, mein damaliger Freund hatte mich kurz vor der Reise verlassen“, erzählt Nicole Khambule und fügt hinzu, „da dachte ich mir, das kann ich auch.“ Also sucht sie nach deutschsprachigen Jobs in Kapstadt. Viele findet sie nicht, die Jobagentur hat gerade einmal zwei Callcenter-Stellen zur Auswahl: in einem Casino („Wo ich jeden Tag mit Spielsüchtigen zu tun gehabt hätte“, scherzt Khambule) und bei der Lufthansa. Beides hat nichts mit ihrem Studium zu tun und und ist schon gar nicht ihr Traum, aber die Magdeburgerin will unbedingt in Südafrika bleiben – nicht nur, aber auch, um zu sehen, was aus ihrer frischen Beziehung mit Happy werden könnte. „Er war nicht der Grund, dass ich geblieben bin“, betont Khambule. Aber eine Motivation, nach Deutschland zurückzukehren, habe sie auch nicht gehabt.

Tückische Berge, nervige Bürokratie

Nur der Abschied von ihrer Familie, der fällt ihr schwer. Noch heute kann sie sich an den Gesichtsausdruck ihres Vaters erinnern, als sie ihm ihren Auswanderungsplan eröffnete. „Ich hatte das Gefühl, das Leben ist in dem Moment förmlich aus ihm herausgesogen worden“, erinnert sie sich. Doch so leid ihr das tat, ihre Entscheidung stand fest. Der Callcenter-Job bei der Lufthansa soll ihr zunächst über die Runden helfen. Der Alltag im neuen Land hat jedoch auch seine Tücken.

Das fängt schon beim Autofahren in der bergigen Region rund um Kapstadt an. Als sie sich für einen Ausflug in die Berge Happys Auto leiht, lässt sie die Kupplung an einem steilen Anstieg so lange durchdrehen, bis die Kupplungsscheiben durchbrennen und der Motor qualmt. „Ich wusste einfach nicht, wie man am Berg anfährt“, sagt die junge Frau und lacht. „Also habe ich Happy danach dazu gebracht, mit mir in den Abendstunden Autofahren zu üben.“

https://www.instagram.com/p/BzccPb-hP2s/

Und auch dass die Uhren in Südafrika einen ganzen Tick langsamer gehen, muss sie erst lernen. „Fast Food ist hier nicht wirklich Fast Food, das kann schon mal gut und gerne 30 Minuten dauern“, sagt Khambule. Bei Behördengängen wird auch keine Nummer gezogen, sondern man fragt sich zum richtigen Schalter durch, setzt sich brav zu den anderen Wartenden und rutscht dann Stück für Stück einen Sitzplatz weiter, bis man mit seinem Anliegen an der Reihe ist.

Die Gelassenheit der Kapstädter hat natürlich auch ihre positiven Seiten: Hier wird die Work-Life-Balance nicht diskutiert, sondern gelebt. Und wie lebt es sich in einer Stadt, die wegen ihrer hohen Mordrate zu den gefährlichsten Wohngegenden der Welt zählt? „Die Kriminalität findet oft mehr in den Townships statt, schwappt aber durchaus in die Stadt über“, antwortet Khambule. Sie höre viele Geschichten, ihr selbst sei aber zum Glück noch nichts passiert.

Kampf durch die Depression

Die quirlige Magdeburgerin hält sich aber auch an gewisse Regeln, um sich nicht unnötig in Gefahr zu bringen: Nachts geht sie nicht allein auf die Straße, im Auto lässt sie nichts sichtbar liegen. Härter ist dagegen die Umstellung, was ihren beruflichen Weg angeht. Sie liebt zwar das Großstadtfeeling und lernt schnell Leute kennen, doch der Job im Callcenter macht sie innerlich kaputt. „Nach einem Jahr habe ich mir gesagt: Ich kann da nicht mehr arbeiten, ich bin todunglücklich.“ Nicole Khambule bekommt ihre Chance. In der Firma wird eine Stelle im Qualitätsmanagement frei, und ab da startet die Magdeburgerin durch. Sie blüht neu auf, arbeitet sich bis zur Qualitätsspezialistin hoch. Bis alles wie ein Kartenhaus zusammenbricht.

Nicole Khambule rutscht in eine Depression, hat ein Jahr lang ständig ein mulmiges Gefühl im Bauch. Sie bekommt Panikattacken. Die Magdeburgerin fühlt sich allein, obwohl sie das nicht ist. Es ist ihr Freund, der das Glück Stück für Stück in ihr Leben zurückbringt. „Happy hat das mit mir durchgestanden, er war immer für mich da“, erzählt die 32-Jährige. Spätestens da merkt sie: Er ist der Mann ihres Lebens.

“Mich reizt Deutschland nicht mehr.”

Nicole Khambule

Die Magdeburgerin macht eine Therapie, fängt mit Yoga an, und kämpft sich langsam in ihr normales Leben zurück. Heute ist sie, so sagt sie, ein neuer Mensch. „Seitdem kann ich Sachen viel lockerer sehen.“ Im April 2018 heiraten Happy und Nicole in Südafrika, nur im engsten Freundeskreis. Die traditionelle Hochzeit mit beiden Familien steht noch immer aus. Normalerweise wird dann auch zwei Tage lang gefeiert: einen Tag bei der Familie der Braut und einen Tag bei der Familie des Mannes, zu
dem Anlass werden auch Schafe rituell geschlachtet.

Keine Lust mehr auf Deutschland

Ihre alte Heimat vermisst Khambule, abgesehen von Familie und Freunden, nicht. „Mich reizt Deutschland nicht mehr“, sagt sie. Das liege vor allem an der Herzlichkeit der Südafrikaner, aber auch an dem wachsenden Rassismus in Ostdeutschland. „Wenn ich mit Happy in Deutschland unterwegs war, habe ich meine Umgebung und die Deutschen ganz anders wahrgenommen“, sagt Khambule. Die Südafrikaner seien viel freundlicher und offener. „Ich habe mich am Anfang gewundert, warum mich alle anlachen und grüßen“, sagt die Magdeburgerin, bis Happy ihr erklärte, das sei hier eben so.

Seit einem halben Jahr leben die beiden nun zusammen in Johannesburg. „Vom Gefühl her ist das ganz anders, alles ist schnelllebiger“, sagt die Auswanderin, „aber man kommt hier auch viel schneller mit Menschen in Kontakt.“ Mittlerweile arbeitet sie als Yogalehrerin und Life-Coach, um anderen Menschen durch ähnliche Krisen zu helfen, wie sie sie erlebt hat. Angst, erneut in ein Loch zu fallen, hat sie nicht. „Ich war immer sehr ängstlich“, sagt Khambule. „Südafrika hat mir diese Angst aber genommen. Irgendwas klappt immer, wenn ich mich reinhänge.“


Der Artikel erschien zuerst auf MZ.de.

Fotos: Nicole Khambule