Christina Horsten und Felix Zeltner sind in New York in 13 Monaten 14 Mal umgezogen.

Felix Zeltner und Christina Horsten landen in New York gleich zwei Mal auf der Straße. Bis das deutsche Paar beschließt, aus der Notlage ein verrücktes Abenteuer zu machen – Katastrophen vorprogrammiert.

Von Janine Gürtler

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Der Brief zog den beiden den Boden unter den Füßen weg. Als Christina Horsten und Felix Zeltner nach der Geburt ihrer Tochter Emma vom Krankenhaus zurück in ihre Wohnung an der Upper Eastside in New York kamen, lag die Kündigung im Briefkasten. Die Haus-Eigentümerin hatte keine Lust auf Babygeschrei und warf sie raus. Plötzlich steht das deutsche Journalistenpaar, das seit 2012 in New York lebt, ohne Wohnung da.

Fünf Jahre ist es her, dass ihr altes Leben quasi den Bach runterging. Doch: „Der Rausschmiss war das Beste, was uns passieren konnte“, sagt Christina Horsten, die in New York als Korrespondentin einer Nachrichtenagentur arbeitet. Denn der bittere Anfang dieser Geschichte hat den Anstoß zum aufregendsten Kapitel ihres Lebens gegeben.

„Der Rausschmiss war das Beste, was uns passieren konnte.“

Christina Horsten

Innerhalb von 13 Monaten zogen sie 14 Mal um – und das freiwillig! Ihr Plan: Ein Jahr lang jeden Monat in einem anderen New Yorker Stadtteil leben, die Leute und das Viertel kennenlernen, dann weiterziehen. „Unsere Familie in Deutschland hat uns für verrückt erklärt“, erinnert sich Felix Zeltner. Ihre New Yorker Freunde waren von der Wohnungs-Idee begeistert. Wäre da nicht ein Haken: Der „Big Apple“ zählt zu den härtesten Mietpflastern der Welt.

Eine mickrige 26-Quadratmeter-Bude in Manhattan kostet laut Immobilienplattform RentCafé im Schnitt etwa 1.300 Euro. Ein Fenster gehört nicht immer dazu. Ratten oder Bettwanzen aber durchaus.
Wie zum Teufel also will eine Familie mit Kleinkind jeden Monat eine neue Wohnung finden, die auch noch bezahlbar ist?

„Am Anfang haben wir uns total naiv hingesetzt und dachten, wir buchen jetzt einfach alle Wohnungen für das ganze Jahr über Airbnb“, sagt Christina Horsten, die in Big Apple geboren wurde und als Kind nach Deutschland zurückkehrte und dort unter anderem in Bonn und Berlin lebte. Nur, dass sämtliche Angebote überteuert waren und schon auf Fotos schrecklich aussahen. Dann stießen sie auf das „Listings Project“, einen Newsletter, in dem Leute ihre Wohnungen zur Untermiete anbieten, wenn sie nicht da sind.

Eine Weltreise in zwölf Stadtvierteln

Die erste Station der Wohnungsnomaden: Long Island City. Das Angebot kommt von einem befreundeten Unternehmer, der sie einen Monat mietfrei in seinem modernen Townhouse leben lässt. Länger bleiben wollen sie trotzdem nicht. Also geht es nach Chinatown: Blinkende Neonschilder mit chinesischen Schriftzeichen reihen sich nebeneinander, Händler ver-
kaufen Ramsch, „echte“ Rayban-Brillen für 20 Dollar und asiatische Stinkfrüchte. Das Paar findet ein Loft und einen bezahlbaren Kitaplatz für Emma. „Schon dafür hat es sich gelohnt“, so der in Nürnberg geborene Felix Zeltner, der in New York für deutsche Medien arbeitet.

Der Kindergarten für Emma bleibt derselbe, die Familie zieht weiter: wohnt im hippen Williamsburg, in Little Italy, im afro-amerikanisch geprägten Harlem. „Wir sind eigentlich von China nach Westafrika gezogen“, sagt der 36-Jährige. Eine Weltreise in zwölf Stadtvierteln.

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Geht es in ein „Zuhause“, graben die Journalisten alles aus, was sie im Netz, in Zeitungen und auf Blogs über die Gegend finden können. Zudem veranstalten sie in jeder Wohnung ein Nachbarschaftsdinner. Und Christina Horsten steht jedes Mal kurz vorm Nervenzusammenbruch, glaubt, dass keiner kommt. Jedes Mal ist das Wohnzimmer voll- und die Gäste sind begierig darauf, mehr über ihr Viertel zu erzählen. „Die New Yorker sind stolz auf ihre Gegend und haben viel zu erzählen“, glaubt sie.

Klingt alles fast zu schön, um wahr zu sein? Ist es auch.

Betrugsmasche lässt das Paar am Tiefpunkt ankommen

Als das Paar seine mittlerweile vierte Wohnung in Sunset Park beziehen will, wohnt dort schon ein älterer Herr. Und der hat noch nie etwas vom angeblichen Vermieter gehört. Es stellt sich heraus: Der Betrüger hatte im Mietvertrag ein „W“ für West in die Adresse eingefügt – und so eine Fantasie-Wohnung geschaffen. 1.400 Dollar Miete hatte Zeltner da schon überwiesen. Das Geld bekommen sie zurück, emotional aber sind sie an ei-
nem Tiefpunkt angekommen. „Das war einer der Momente, in denen wir logistisch und psychisch völlig überfordert waren. Und uns gefragt haben, warum wir uns das eigentlich antun“, sagt Christina Horsten.

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Was beide durch zwölf Monate voller emotionaler Achterbahnfahrten trägt, sind vor allem die Menschen, die sie kennenlernen. In Harlem kleben ihnen neue Nachbarn einen Zwei-Seiten-Ausdruck an die Tür, mit Insidertipps für Restaurants, Ausflüge und Besonderheiten des Viertels. In Washington Heights leben sie bei Kurt, einem Antik-Buchhändler aus Minnesota, der nie zur Schule gegangen ist und sich sein unglaubliches Wissen über Jahrzehnte angelesen hat.

Und sie lernen die letzten Mieter des legendären Chelsea-Hotels kennen, die seit sieben Jahren um ihr Zuhause kämpfen, das in ein Luxus-Hotel umgewandelt wird. Am Ende ihrer Reise haben die beiden Umzugswütigen nicht nur New York und seine Menschen neu kennengelernt, sondern auch ein Buch darüber geschrieben.

Wann der nächste Umzug ist, steht noch in den Sternen. Ihre neue Wohnung, ein kleines Appartement an der Upper Westside, ist kein Schnäppchen. Aber es ist ein Zuhause, in dem die Familie vorerst länger bleiben will. Nur die vierjährige Tochter Emma würde ganz gern mal wieder umziehen, verrät Felix Zeltner. „Die findet es langweilig hier.“


Der Artikel erschien zuerst auf MZ.de.
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