Sprung meines Lebens

Von Janine Gürtler


Schwindel. Herzrasen. Todesangst. Seit Jahren gerate ich regelmäßig in Panik, wenn ich mich in großen Höhen befinde. Normalerweise therapiert man solche Urängste ja beim Psychologen in mehreren Sitzungen, ich aber mache das im Schnelldurchlauf: Ich will beim Turmspringen meine Angst endlich überwinden.

Mein Psychologe und Trainer in einem ist Andreas Wels. Wenn einer weiß, wie man eine gute Figur auf dem Zehner macht, dann ist es der mehrfache Europameister und Olympia-Vize. Schließlich bringt der Hallenser für das Promispringen „Sprung meines Lebens“ im Nordbad auch gerade Box-Legende Graciano Rocchigiani und Saale Bulls-Kapitän Kai Schmitz das Springen bei.

„Höhenangst ist das Schlimmste, was du beim Turmspringen haben kannst.“

Andreas Wels

„Höhenangst ist das Schlimmste, was du beim Turmspringen haben kannst“, sagt der ehemalige Leistungssportler. „Das Wichtigste ist, mutig zu sein. Da darfst du dich auch vor einem Bauchklatscher nicht scheuen.“ Aha.

Sprungtraining mit Andreas Wels: Die Nerven flattern

Beim Trainingstag im Nordbad sind es 25 Grad, die Sonne knallt vom Himmel: beste Sprungbedingungen also. Ein paar Jungs überbieten sich gegenseitig mit Arschbomben vom Zehner. Schon das laute Klatschen beim Aufprall auf dem Wasser lässt meine Nerven flattern.

Wir lassen es langsam angehen: Nass machen, gerade vom Beckenrand springen. Kein Problem für mich. „Du glaubst gar nicht, wie sich manche meiner Promis hier schon anstellen“, verrät Wels. „Alle vier voran – Körperspannung gleich Null.“ Dann der Kopfsprung vom Ein-Meter-Brett: „Po fest, Arme über den Kopf“, gibt Wels das Kommando, „und beim Eintauchen ganz doll gestreckt bleiben.“

Der Kopfsprung klappt. Ist doch gar nicht so schwer, denke ich. Bis ich in drei Meter Höhe über dem Wasser stehe. Was ist das Schlimmste, was mir hier passieren kann? „Die Spannung zu verlieren“, antwortet mein Trainer. „Dann kommt man schnell in die Rotation und kassiert blaue Flecken.“

Wels selbst wäre bei einem Sprung vom Dreier fast einmal gestorben. Bei einem Lehrgang in Berlin wagt er 2001 einen dreieinhalb-fachen Auerbach-Salto mit Schraube. Er springt zu dicht ab, knallt mit dem Kopf auf das Brett.

Zwei Tage später wacht er auf der Intensivstation auf, mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma. „Danach habe ich wirklich überlegt, ob ich weitermache“, sagt er heute. Wels macht weiter, holt sich das EM-Ticket und wird hier Zweiter. Wenn er nach so einem Horror-Erlebnis wieder springen kann, schaffe ich das auch.

Sprung meines Lebens: Schaffe ich den Fünfer?

Auf dem 5-Meter-Brett posieren geht ja. Aber springen?
(Foto: Andreas Stedtler)

Ich brauche mehrere Ansätze, dann endlich springe ich, 1,04 Sekunden freier Fall. Ich bekomme Wasser in die Nase, sonst ist alles heil geblieben. Wels will jetzt mit mir noch einen Schritt weiter – der Fünfer soll es sein, dafür mit ihm zusammen.

Von hier oben sehen fünf Meter wie 50 aus. „Ich kann das nicht“, schießt es mir durch den Kopf. Alles dreht sich, mein Herz pocht wie verrückt. Ich wäre lieber überall, nur nicht hier. Andreas zählt: Drei. Zwei. Eins. Sprung. Ich krampfe bis zum Schluss an seiner Hand, für die Schräglage in der Luft bekomme ich bestimmt nicht die Bestnote. Aber was für ein geiles Gefühl, es geschafft zu haben. Test bestanden! Schaffe ich es in die deutsche Nationalmannschaft? „Das wohl noch nicht, aber Potenzial hast du“, lacht Wels. Fünfer, I’ll be back. (mz)


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