Wenn Joja Wendt am Klavier arbeitet, bebt das Instrument. Und der berühmte Pianist wettet: Jeder kann spielen. Zeit für eine Lehrstunde.

Von Janine Gürtler


Ein Tag ohne Klavier ist für Joja Wendt ein verlorener Tag. Wenn sich der Hamburger Pianist an den Flügel setzt, sind Musikgenres nur noch etwas, das überwunden werden muss. Der 53-Jährige frischt den „Hummelflug“ mit Hip Hop auf, kreuzt Klassik mit Heavy Metal. Und trifft damit einen Nerv der Zeit. Bei seinen Konzerten wird er umjubelt wie ein Popstar.

Star-Pianist Joja Wendt im „Roten Horizont“ in Halle

Genau dieser Mann will mir heute das Klavierspiel beibringen – und zwar in nur 30 Minuten. Ich habe meine Zweifel. Ich scheitere schon an „Alle meine Entchen“, vom Notenlesen ganz zu schweigen.

Die Nerven flattern also, als wir uns zum Crash-Kurs im Café „Roten Horizont“ in Halle treffen. „Du bist der perfekte Anfänger“, sagt Wendt. Joja Wendt duzt mich von Anfang an. Distanz liegt ihm nicht. Sowieso nimmt sich der Mann im grünen Pulli nicht allzu ernst.

Lange Einführungen in Musiktheorie sind nicht Wendts Unterrichtsmethode. Seine Devise: Hau in die Tasten! „Das Klavier ist ein sehr intuitives Instrument“, sagt Wendt. „Total benutzerfreundlich.“ Alle Töne liegen quasi vor einem, man muss sie bloß herunterdrücken. Das klingt einfach. Er spielt mir Akkorde vor, ich spiele sie nach. Der letzte klingt bei mir furchtbar schief, aber mein Klavierlehrer ermutigt mich. „Man kann auch allein viel am Klavier ausprobieren.“

Joja Wendt in Hamburg: Von Joe Cocker entdeckt

Ausprobiert hat sich Wendt auch. In den 80er Jahren taucht er ein in die Hamburger Musikszene, spielt sich abends in den Kneipen die Finger wund. Und er merkt schnell, dass man am Klavier mehr machen kann, als nur brav die Tasten zu drücken.

Im „Sperl“ entdeckt ihn eines Abends Joe Cocker – die Rocklegende nimmt ihn ins Vorprogramm für seine Deutschlandtour. Es ist wohl der Funke, der ihn bis heute antreibt, denn hier erkennt er zum ersten Mal: „Es ist möglich, allein am Klavier Tausende von Leuten zu begeistern.“

Und das schafft er im Laufe der Jahre wie kaum ein zweiter: Er rollt Klavier spielend durch die Straßen Hamburgs, spielt auf der Bühne vor loderndem Feuer. Sogar sein Hintern kann Klavier spielen: Das hat er bei Rock’n’Roll-Nummern mit Komiker Otto Waalkes schon bewiesen.

Wendt nimmt das Genre auseinander und macht es massentauglich. Überhaupt geht es ihm bei seinen Konzerten vor allem um das Publikum. Mit dem redet und scherzt er, spielt sich scheinbar mühelos in aller Herzen. Selbst hartgesottene Heavy-Metal-Fans brüllen nach Zugaben, wenn er beim Wacken-Festival das spanische Stück „Asturias“ mit fettem Hardrock-Bass zusammenprallen lässt.

Klavier-Unterricht mit Joja Wendt: Üben, üben, üben

Joja Wendt ist ein Entertainer durch und durch. Das merke ich auch beim Klavierunterricht. Der Hamburger setzt auf schnelle „Aha“-Erlebnisse. Wendt erklärt mir die Tastenanordnung, was eine Oktave ist und dass es eigentlich immer gut klingt, wenn man nur die schwarzen Tasten anschlägt.

Ich konzentriere mich also auf die schwarzen und schlage eher wahllos einige Tasten nacheinander an. Wendt steigt ein und begleitet mich mit tiefen Tönen und Akkorden. Das Ergebnis lässt sich tatsächlich hören. „Ich nehm’ dich mit auf Tour“, scherzt Wendt. Aber davon, nach 30 Minuten wirklich Klavier spielen zu können, bin ich weit entfernt. Entweder vergesse ich die Tastenfolgen oder meine Finger verknoten sich beim Nachspielen.

Reine Übungssache, meint Wendt. Er selbst übt schließlich auch jeden Tag. Und wenn er einmal loslegt, dauert das ein paar Stunden. „Meine Frau fragt mich dann schon vorher, ob ich noch schnell den Müll rausbringen kann“, lacht er. Klavierspielen ist eben auch harte Arbeit, klar. Aber, sagt Wendt: „Klavierspielen ist nicht nur schön, es macht auch glücklich intelligent.“

Diese Erkenntnis stamme nicht von ihm, das sei wissenschaftlich erwiesen. Davon überzeugen kann man sich am 30. November: Dann spielt Wendt in der Händelhalle – und sorgt sicher auch bei den Hallensern für Glücksgefühle. (mz)


Der Artikel erschien zuerst auf MZ.de.