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Saba: Wie lebt es sich auf einem fast erloschenem Vulkan?

Vicky Gabriel lebt sett acht Jahren auf der Karibikinsel Saba.

Vicky Gabriel lebt sett acht Jahren auf der Karibikinsel Saba.

Vicky Gabriel aus Quedlinburg weiß es. Die 33-Jährige arbeitet seit acht Jahren als Tauchlehrerin auf Saba, einer Karibikinsel, die seit Beginn der Corona-Pandemie keine Touristen mehr gesehen hat.

Von Janine Gürtler

Es gibt nur noch wenige Fleckchen Erde auf dieser Welt, an denen die Worte „Hektik“ und „Stress“ ihre Bedeutung verlieren. Vicky Gabriel hat ihn gefunden. Statt morgens ins Büro zu hetzen, hat die Quedlinburgerin das Meer in der Nase. Der Arbeitsplatz der 33-Jährigen liegt mitten in der Karibik, genauer gesagt auf Saba (englisch ausgesprochen, also „say-bah“) – einer abgeschiedenen Vulkaninsel, die so klein ist, dass sie auf vielen Weltkarten gar nicht eingezeichnet ist. Gerade mal 13 Quadratkilometer ist sie groß und damit sechsmal kleiner als ihre Heimatstadt. 

Gemeinsam mit ihrem Freund Aaron, einem US-Amerikaner, arbeitet die Sachsen-Anhalterin seit acht Jahren als Tauchlehrerin auf der kleinsten bewohnten Insel der ehemaligen Niederländischen Antillen. „Ich musste erst googeln, wo die Insel liegt“, sagt Gabriel und lacht. Vor hunderttausenden von Jahren ein brodelnder Unterwasser-Vulkan, ragt Saba heute friedlich über 800 Meter aus dem Meer wie ein Berggipfel aus den Wolken. Schroffe Felswände und saftig-grüne Vegetation bestimmen das Inselbild. Dazwischen schmiegen sich weiß getünchte Häuser mit roten Ziegeldächern an grüne Hügel.

Ein karibisches Paradies mit europäischem Flair: Saba. (Foto: Gabriel)

Karibikinsel Saba: Wo in den Autos noch der Schlüssel steckt

„Hier kennt jeder jeden und es ist überhaupt nicht schwer, Leute kennenzulernen“, beschreibt die Auswanderin den Alltag auf der Insel, die zum niederländischen Königreich gehört. Kaum 1.900 Menschen leben hier, schwarze wie weiße, von denen viele auf die europäische Besiedlung der Insel im 17. Jahrhundert zurückgehen. Eine hilfsbereite, eingeschworene Gemeinschaft, in der es kaum Kriminalität gibt. „Die Leute hier schließen ihre Häuser nicht ab, in den Autos steckt meist noch der Schlüssel.“ Und Neuigkeiten machen hier, wie in jedem kleinen Ort, schnell die Runde. „Wenn irgendetwas passiert, dann weiß das natürlich immer jeder auf der Insel“, sagt Gabriel und lacht.

Was die Tauchlehrerin besonders an ihrer Wahlheimat schätzt: „Die Hautfarbe ist hier überhaupt kein Thema.“ Die Menschen sind seit Generationen zusammen aufgewachsen, Rassismus gibt es nicht. Über 40 Nationalitäten leben hier zusammen, ihre Freunde kommen aus den USA, der Schweiz, Großbritannien, den Niederlanden, Belgien oder eben von Saba. „Das ist ein sehr schönes Miteinander.“

Saba: „An manchen Tagen ziehen die Wolken direkt durch unser Haus.“

Dazu kommt die atemberaubende Natur, durch die die Insel ihren Spitznamen „die unberührte Königin“ trägt. „Sandstrände gibt es hier nicht“, erklärt Gabriel. Dafür Steilküsten, kristallklares Wasser, den erloschenen Vulkan Mount Scenery, und sogar eine amerikanische Privatuniversität für Medizinstudenten.

Saba ist die kleinste lnsel der Niederlandischen Antillen und besteht hauptsachlich
aus einem schlafenden Vulkan, der von Regenwald umgeben ist. (Foto: iStock)

Und weil Saba so hoch gelegen ist, hat Gabriel auch ein völlig neues Naturphänomen kennengelernt. „An manchen Tagen ziehen die Wolken direkt durch unser Haus.“ Dann wird es spürbar kälter im ganzen Haus und man kaum 20 Meter weit sehen. An klaren Tagen aber ist der Ausblick traumhaft. Wenn die Auswanderin auf der Terrasse ihres Hauses in Windwardside steht, einem der vier Dörfer der Insel, sieht sie das tiefblaue Meer, sattes Grün, und den Vulkan. „Es gibt kaum eine Stelle auf der Insel, von der man das Meer nicht sehen kann.“ 

Zwei Jahre wollte sie ursprünglich als Tauchlehrerin hier arbeiten, mittlerweile sind es acht. Begonnen hat dabei alles jedoch ganz woanders.

Tauchen in Saba: Vom Neben- zum Traumjob

„Es war eher Zufall, dass ich beim Tauchen hängengeblieben bin.“ Nach dem Abitur ging sie für ein Jahr nach Safaga, einem ägyptischen Hafenort am Roten Meer und ließ sich zur Taucherin ausbilden. Auch als sie später in Wien Film- und Theaterwissenschaften studierte, half sie über die Sommersemesterferien am Mittelmeer als Tauchlehrerin aus. Dass der Nebenjob jemals ihr Beruf werden könnte, damit hatte sie damals nicht gerechnet. „Ich hatte nach dem Studium nur zwei Bewerbungen an Tauchschulen rausgeschickt. Einfach um zu sehen, was passiert.“

Und tatsächlich: Sie bekam eine Stelle auf der mexikanischen Insel Cozumel. „Ich bin da ziemlich blauäugig an die Sache herangegangen“, gibt sie zu, „ich wusste so gut wie nichts über Mexiko.“ Ihr Leben läuft hier nach dem Motto: „Work hard, play hard.“ Sie arbeitet bis zu 18 Tage am Stück, geht viel feiern. Nach wenigen Monaten lernt sie auch ihren heutigen Partner, Aaron, kennen. Aaron ist Texaner, ebenfalls Tauchlehrer und teilt mit ihr die Liebe zum Meer.  „Egal ob zum Tauchen, Schnorcheln, Surfen – wir sind ständig im Wasser”, sagt Gabriel. Doch irgendwann wollen die beiden weiterziehen, raus aus Mexiko. „Wir waren da einfach nicht komplett angekommen.“

Saba gehört zu den schönsten Tauchgründen der Welt

Auf einer Jobbörse für Tauchlehrer stoßen sie schließlich auf Saba. Die Insel gehört zu einem der schönsten Tauchgründe der Welt. Die Felswände unter Wasser sind übersät mit Korallen und Schwämmen, die abwechselnd in Grün, Purpur und Gelb leuchten. Meeresschildkröten ziehen träge ihre Runden.

Unzählige Arten tropischer Fische, Riesenzackenbarsche, Seepferdchen, Barrakudas, Mantarochen und selbst Ammen- oder Riffhaie sind hier zu Hause. Dazu kommen Steilwände, Höhlen, heiße Quellen, Tunnel und sogenannte „Pinnacles“ – Unterwasserfelsen, die wie Nadeln in die Höhe ragen.

Auf der Insel gibt es nur zwei Tauchschulen, doch Gabriel hat Glück. „Die suchten gerade ein Pärchen“, erzählt die junge Frau mit der langen Mähne, die sie beim Tauchen oft zu Zöpfen flechtet. Einen Monat später packen sie ihre Sachen, steigen von Mexiko in den Flieger in die Karibik. 

Kürzeste Landebahn der Welt: Anflug auf Saba hat es in sich

Nach Saba kann man übrigens nicht direkt fliegen, erzählt die Sachsen-Anhalterin. Die felsigen Klippen, die dramatisch aus dem Meer herausragen und die geringe Größe machen die Landung für ein Passagierflugzeug schlicht unmöglich. Deshalb müssen Touristen über die Nachbarinsel Sankt Martin mit einer Propellermaschine anfliegen, gerade mal 13 Minuten dauert der Flug. „Die Landung ist immer noch aufregend. Manche Touristen fliegen von St. Martin nach Saba und dann direkt zurück, nur um den Flug einmal erlebt zu haben.“

Das Leben ist hier so ganz anders als im trubeligen Mexiko. Es gibt nur eine Schule, eine Polizeiwache, eine Handvoll Supermärkte und eine einzige Straße auf der gesamten Insel, die passenderweise den Namen „The Road“ trägt. 20 Jahre haben die Inselbewohner gebraucht, die Straße in die vulkanische Erde zu graben. Per Hand, wohlgemerkt.

Erst 1974 fuhr hier das erste Auto. „Die meisten fahren hier aber per Anhalter“, sagt Gabriel, „auch die Kinder, das ist hier ganz normal.“ Trotzdem betont sie: „Das Leben unterscheidet sich gar nicht so sehr von Deutschland.“ Die Menschen hier, sagt sie, sind sehr ordentlich, lassen keinen Müll auf die Straße fallen, halten sich an Regeln und Gesetze. Auch der nachbarschaftliche Zusammenhalt seiist ähnlich wie in Quedlinburg. „Anstelle von Kirschen, Gurken oder Johannisbeeren aus dem eigenen Garten bringen dir die Leute hier Avocado, Banane oder Mango.“ Nur dass man das Meer immer vor der Nase habe, sei eben anders. 

Leben auf Saba: Auch mit Königen abgetaucht

Ihr Arbeitstag beginnt um 7.30 Uhr morgens. Dann macht sie die Boote und Ausrüstung fertig, schlüpft in ihren Neoprenanzug und entführt Touristen in die Unterwasserwelt der Karibik. Rund um die Insel gibt es mehr als 30 Tauchplätze. Das Wasser ist selbst im Januar bis zu 28 Grad warm und kristallklar, Fischfang und Ankern sind verboten. Morgens zwei Tauchgänge in tiefere Gewässer, bei denen sie Tauchern die „Pinnacles“ zeigt.

Starthilfe vorm Tauchgang: Vicky Gabriels Freund Aaron mit dem niederländischen Königspaar. (Foto: Sea Saba)

Am Nachmittag geht es ein drittes Mal zum Schnorcheln zu den Riffen der Insel hinaus. „Wir können hier rund um die Insel tauchen“, sagt Gabriel, „und jetzt im Winter kommen die Buckelwale ganz nah an die Insel heran.“ Bei Nachttauchgängen zeigt die sportliche Blondine ihren Gästen nachtaktive Meeresbewohner wie Tintenfische und Langusten. Und selbst mit dem niederländischen Königspaar, Königin Máxima und König Willem-Alexander, ist die Quedlinburger schon abgetaucht. Ganz ohne Security, völlig entspannt. „Die waren auch sehr, sehr nett.“

Weiterlesen auf Seite 2: Wie das Leben auf Saba seit Corona läuft

Saba: Mit der Corona-Pandemie kam auch die Touristenflaute

Massentourismus ist hier ein Fremdwort. Das liegt vielleicht auch daran, dass es auf der Insel statt Stränden nur schroffe Felswände gibt. Trotzdem ist der Tourismus hier eine wichtige Einnahmequelle, jährlich kommen etwa 25.000 Besucher auf die Insel. Durch die Corona-Pandemie hat sich das jedoch schlagartig geändert. Seit dem Ausbruch im März hat die Insel ihre Grenzen geschlossen. „Wir hatten monatelang keine Touristen in Saba.“ Nicht nur die Tauchgänge sind so weniger geworden, auch ihr Team hat sich deutlich verkleinert. „Vor zwei Monaten haben wir unseren letzten Kollegen verabschiedet, jetzt sind nur noch wir beide und unsere beiden Chefs da“, sagt die 33-Jährige. 

“Wir hatten monatelang keine Touristen in Saba.”

Vicky Gabriel

Seit Monaten hält sich die Tauchschule mit Tauchgängen mit Einheimischen über Wasser, außerdem nutzt die kleine Truppe die Zeit, die Boote und den Shop am Hafen auf Vordermann zu bringen. Das Paar hat Glück, beide bekommen von der niederländischen Regierung 80% ihre Gehalts als Kurzarbeitergeld. Und das unverhoffte Mehr an Freizeit verbringen sie mit Wandern, Schwimmen, Tauchen oder Schnorcheln. „Langeweile kommt keine auf, auch wenn es eine sehr kleine Insel ist.“

Die Abgeschiedenheit von Saba hat in Zeiten der Pandemie aber auch ihre Vorteile. Einen großen Ausbruch gab es bisher nicht auf der Insel. Nur fünf Fälle hatte Saba bisher, seit Anfang September gilt die Insel als coronafrei. Das lag wohl neben der Grenzschließung auch an dem Lockdown im April und Mai, der für die Inselbewohner „kurz aber schmerzvoll“ war, meint Gabriel. 

Harter Lockdown auf Saba: Nur noch bis zur Mülltonne

„Wir waren zwei Wochen komplett eingesperrt, der Gang zur Mülltonne war das höchste der Gefühle.“ Die folgenden zwei Wochen durften sie für wenige Stunden heraus, danach sei wieder normaler Alltag eingekehrt. Und während Deutschland und weite Teile der Welt derzeit wieder im Lockdown sind oder das öffentliche Leben zumindest teilweise einschränken, läuft das Leben auf Saba ganz normal weiter. „Bei uns gibt es kein Social Distancing, keine Masken – seit Juni ist alles komplett aufgehoben.“ Wann sich die Insel wieder für Touristen öffnet, das weiß hier allerdings noch niemand. Zurück nach Sachsen-Anhalt jedenfalls zieht sie zumindest in Zeiten von Corona nichts. „Ich wäre glaube ich ein wenig verloren, wenn ich jetzt in die reale Welt zurückkehren würde.“

Wenn zurück, dann nach Quedlinburg

Ihre Wurzeln in Quedlinburg hat sie trotz all den Jahren im Ausland nicht vergessen. Mindestens einmal im Jahr macht sie einen Abstecher in die Harzstadt, um Familie und Freunde zu besuchen. „Eine Freundin von mir fragt mich jedes Jahr aufs Neue, wann ich zurückkomme, aber das wird wohl nicht so schnell passieren.“ Ganz ausschließen will sie es aber auch nicht. „Ich fühle mich in Saba angekommen. Ob ich hier in Rente gehen würde, weiß ich aber nicht.“ Eines zumindest steht trotz aller Ungewissheit für sie fest: „Wenn ich irgendwann zurückkomme, dann nur nach Quedlinburg.“


Der Artikel erschien zuerst in der Mitteldeutschen Zeitung und auf MZ.de.

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