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Forschung, die unter die Haut geht

Andrea Heinz hat schon in Neuseeland und Finnland geforscht, jetzt lebt sie in Dänemark – und arbeitet daran, chronische Wunden besser heilen zu lassen. Halle wird aber immer ihre Heimat bleiben.

Von Janine Gürtler

So wirklich freiwillig hat Andrea Heinz ihr Auslandsabenteuer nicht gestartet. Als ihre Stelle an der Uni Halle 2016 auslief, stand sie ohne Job da. Eben noch Karriere und plötzlich arbeitslos, das war für die damals 35-Jährige zuerst ein Schock. Doch der bittere Anfang dieser Geschichte bildete den Startschuss für ein völlig neues Leben in Dänemark, einem Land, das sie bisher nur aus dem Urlaub kannte. „Dass ich nach Dänemark gezogen bin, war kein großer Lebenstraum von mir, sondern eher Zufall“, erzählt die Hallenserin. Seit vier Jahren arbeitet die heute 39-Jährige als Dozentin an der Universität in Kopenhagen, lehrt und forscht dort am Institut für Pharmazie. Und ihre Forschung geht wortwörtlich unter die Haut.

Kampf gegen Bakterien 

Heinz und ihre Studenten sind der Wundheilung auf der Spur. Nicht unseren kleineren Wehwehchen des Alltags, sondern chronischen Wunden, die oft Monate oder gar Jahre brauchen, um zu heilen. Sie sind eine gefährliche Eintrittspforte für Infektionen, die sich im verletzten Gewebe oft ungehindert ausbreiten können. „Das Problem bei chronischen Wunden ist, dass sie aufgrund von Bakterien nicht verheilen können“, erklärt Heinz, „und die Bakterien irgendwann Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln.“

Für den Patienten ist das nicht nur schmerzhaft, sondern kann gerade bei Diabetespatienten oder Brandopfern zum lebensgefährlichen Problem werden. „Je länger die Heilung dauert, desto größer die Infektionsgefahr und das Amputationsrisiko.“ 

Andrea Heinz gemeinsam mit ihrer Doktorandin vor dem sogenannten Electrospinner, eine Art High-Tech-Spinnmaschine, mit der sie spezielle Wundauflagen für chronische Wunden herstellen. (Foto: Heinz)

Heinz und ihre Studenten arbeiten deshalb an Wundauflagen aus Biomaterialien. Genauer gesagt aus Polymerfasern, die ein Peptid – also das Bruchstück eines Eiweißes – enthalten. „Die funktionieren ohne Antibiotika, töten aber dennoch Bakterien ab“, sagt die Forscherin. Die Eiweiß-Bruchstücke werden erst beim Anbringen des Pflasters auf die Wunde freigesetzt und bekämpfen so die Krankheitserreger.  

Heinz lebt für ihre Forschung, könnte man sagen. Sie schreibt Artikel, Forschungsanträge, reist privat, aber auch für Fachtagungen und Konferenzen um die Welt. Im vergangenen Jahr ging es nach Frankreich, Norwegen, Deutschland, Kasachstan, Russland, Armenien, Georgien und Aserbaidschan. Über 30 Mal ist sie geflogen. „Ich bin eigentlich immer irgendwo unterwegs“, sagt sie und lacht. Mit der Corona-Pandemie ist das allerdings vorbei. “Meine Reisen sind alle abgesagt.” 

“Ich habe mit Mitte 30 nochmal ein völlig neues Leben angefangen.”

Andrea Heinz

Heinz arbeitet nun von zu Hause aus, hält ihre Vorlesungen und Seminare per Videokonferenz. “Dadurch ist die Arbeit natürlich mehr geworden”, sagt sie. Denn neben der Vorbereitung ihrer Stunden muss sie sich auch in die Technik diverser Online-Plattformen reinfuchsen. Und auch die Arbeit im Labor steht seit einigen Wochen still. Beschweren will sie sich aber nicht. “Weil ich im öffentlichen Dienst angestellt bin, ist meine Stelle zum Glück sicher.” 

Allein ins Ausland

Vor vier Jahren, als sie ihren Job verlor, sah das ganz anders aus. „Ich habe mit Mitte 30 nochmal ein völlig neues Leben angefangen“, sagt sie über ihre Auswanderung. Dabei hat Heinz durchaus Auslandserfahrung. Für ihre Doktorarbeit ist die Hallenserin schon als 24-Jährige für zwei Jahre nach Neuseeland und ein Jahr nach Finnland gegangen. Der Neuanfang in Dänemark – ohne Familie und Freunde – war für sie aber die größere Herausforderung. „Ich wusste nicht, worauf ich mich da einlasse“, blickt Heinz zurück, „ich habe alles zu Hause verkauft, bin mit meinem Auto losgefahren und dann war ich eben hier.“ 

Das Leben in Kopenhagen ist für sie anfangs eine völlig andere Welt. Sie kommt an einem letzten Tag im August an. Der Herbst und Winter sind nass, kalt, grau – und das sechs Monate lang. Sie spricht die Sprache nicht. Und kennt niemanden. „Ich habe mich wochenlang gefragt: Was mache ich eigentlich hier?“, sagt Heinz. Aufgeben kam für sie aber nie in Frage. „Es gab kein Zurück für mich“, sagt Heinz, „ich hatte ja auch keinen Job in Deutschland.“ 

Die Hallenserin forscht hier am Institut für Pharmazie an Peptiden, die Bakterien abtöten und somit die Wundheilung beschleunigen können. (Foto: Heinz)

Also meldet sie sich bei Sportvereinen an und schreibt sich für einen Dänisch-Sprachkurs ein. „Dänisch ist eigentlich recht einfach, die Hälfte der Wörter kann man immer erraten“, sagt Heinz und lacht. So bedeutet zum Beispiel „berømt” berühmt, „solskin” Sonnenschein und „skønhed“ Schönheit. 

Und irgendwann geht es aufwärts. Aus den Bekannten, die sie in ihrem Dänischkurs und beim Sport kennengelernt hat, sind mittlerweile Freunde geworden. Ihr Freundeskreis ist international, es sind Dänen und Deutsche darunter, aber auch Israelis, Südkoreaner, Finnen, Russen und Inder. 

Auf Seite 2 weiterlesen: Wie die Dänen ticken

Glücklich und tolerant

Sowieso sei die Stadt sehr international, sagt Heinz. „Die Menschen sind sehr aufgeschlossen. Es ist einfacher, hier mit Fremden ins Gespräch zu kommen als in Deutschland.“ Viele junge Menschen und Familien bevölkern die Hafenstadt, die für ihre bunten Häuser am Hafen Nyhavn, die Statue der „Kleinen Meerjungfrau“ und natürlich ihre vielen Radfahrer berühmt ist. Heinz hat es auch die Toleranz der Menschen angetan. „Jeder kann hier herumlaufen, wie er will. Alles ist ein bisschen lockerer hier”, sagt sie. Nicht umsonst gilt die Stadt als einer der tolerantesten Orte für gleichgeschlechtliche Paare: 1998 schrieb Geschichte Dänemark – als erstes Land der Welt, in dem gleichgeschlechtliche Partnerschaften anerkannt wurden. 

Nyhavn, der zentrale Hafen Kopenhagens, und die belebte Innenstadt gehören zu den Lieblingsplätzen der Hallenserin in der dänischen Hauptstadt. (Foto: Heinz)

„Man sagt ja immer, die Dänen seien ein sehr glückliches, zufriedenes Volk“, sagt Heinz, „und das merkt man auch tatsächlich hier im Alltag.“ Das fängt schon bei ihrer Arbeit an der Uni an. Während an deutschen Universitäten viel Wert auf akademische Titel gelegt werde, sprechen sich hier Professoren und Studenten einfach mit Vornamen an. Die höfliche Form „Sie“ wurde Ende der 60er Jahre praktisch abgeschafft, seitdem duzen sich die Dänen. „Das macht es einfacher, auf allen Ebenen miteinander zu ins Gespräch zu kommen, mit dem Chef genauso wie mit der Reinigungskraft auf der Arbeit“, sagt Heinz.

Und sie sind nicht nur lockerer, die Dänen, sondern auch sehr höflich. „Die Dänen haben kein Wort für Bitte, dafür bedanken sie sich für alles tausendmal”, sagt Heinz. Nach einem gemeinsamen Abendessen zum Beispiel gern mehrfach. Und selbst beim nächsten Wiedersehen bedankt man sich noch für das letzte Treffen. Da sagt der Däne „Danke für zuletzt” und der andere antwortet mit „Selv tak – Selber, danke”.

Halle bleibt Heimat

Allein fühlt sich Heinz in Dänemark nicht mehr, aber erst seit dem vergangenen Jahr ist sie so wirklich angekommen, meint die Hallenserin. Da zog sie aus ihrer WG aus und endlich in ihre eigene Wohnung. Und auch in Zeiten der Pandemie denkt die Hallenserin nicht daran, nach Deutschland zurückzukehren. “Viele haben mich gefragt, wann ich nach Hause fliege”, sagt Heinz. “Aber mein Zuhause ist hier.” 

Halle bleibt trotzdem ihre Heimat, betont sie. Ihre Familie und Freunde, die sie sonst mehrmals im Jahr besucht, müssen nun eben ein wenig länger auf sie warten. Hat sich das Abenteuer Dänemark also für sie gelohnt? „Ich bin viel offener und auch mutiger geworden“, sagt Heinz. Hemmungen, fremde Menschen einfach anzusprechen, hat sie schon lange keine mehr. Wenn sie Hilfe braucht, fragt sie einfach. „Ich bin interessiert an anderen Menschen und Kulturen, und ich glaube, das trage ich auch nach außen.“   

Der Artikel erschien auf MZ.de.

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