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Von Dessau nach New York: Gabriele Stephan will Hirntumore entschlüsseln

Gabriele Stephan aus Dessau-Roßlau will Hirntumore entschlüsseln. Dafür forscht sie in New York an einem Protein, das bei der Krebsbekämpfung helfen könnte.

Von Janine Gürtler

Wenn Gabriele Stephan in ihrem Labor im 13. Stock des Langone Medical Centers steht, dann könnte sie den unglaublichen Ausblick auf Manhattan genießen. Denn wer in der New Yorker Uniklinik aus dem Fenster schaut, der sieht das Empire State Building, den Flur hinüber auf der Rückseite des Gebäudes den East River und das Ufer von Long Island City. Doch dafür hat Gabriele Stephan gerade kein Auge. Sie hat viel mehr Interesse daran, welche DNA-Muster das Gel-Dokumentationssystem vor ihr ausspuckt.

Gabriele Stephan steht in ihrem Labor an der Upper East Side von New York. (Foto: Janine Gürtler)

Ausgerüstet mit Schutzbrille und Latexhandschuhen schiebt sie eine Schale mit eingefärbten DNA-Proben in das Gerät, das an einen klobigen Drucker erinnert, aber deutlich mehr drauf hat. Vereinfacht gesagt macht es mittels UV-Licht DNA sichtbar – und damit auch die Arbeit von Gabriele Stephan.

Die 31-Jährige aus Dessau-Roßlau erforscht am Department für Neurochirurgie der NYU die Funktionsweise von Hirntumorzellen. Genauer die des Proteins GPR 133, das in sogenannten Glioblastomen, den aggressivsten aller Hirntumore, vorkommt. Glioblastome sind eine tickende Zeitbombe, betroffene Patienten sterben auch bei intensiver Therapie meist innerhalb eines Jahres. Der Tumor gilt bisher als unheilbar. 

Neue Wege in der Krebsforschung

Stephans Grundlagenforschung könnte ein Schritt sein, das zu ändern. „Ich versuche herauszufinden, was noch nie zuvor jemand herausgefunden hat“, sagt die Wissenschaftlerin. Ihre Arbeit gleicht dem Zusammensetzen eines gigantischen Puzzles, bei dem man nicht weiß, wie das Motiv eigentlich aussehen soll. Denn Stephan versucht mit Hilfe von DNA-Mutationen den genetischen Code des Proteins zu verändern.

Die Fragen, die Stephan beantworten will: Sorgt das Protein dafür, dass Hirntumore schneller wachsen? Und kann das Protein „ausgeschaltet“ werden, um das Wachstum von Hirntumoren zu verlangsamen? „Die Idee dahinter ist, die Chemotherapie, die den gesamten Körper schwächt, zu vermeiden und stattdessen gezielt dieses Protein in den Tumorzellen anzugreifen“, sagt Stephan. 

Dass diese Art der Grundlagenforschung die 31-Jährige ausgerechnet nach New York verschlagen hat, sei eher Zufall gewesen, sagt Stephan. Nach ihrer Doktorarbeit forschte sie am Rudolf-Schönheimer-Institut für Biochemie der Uni Leipzig ein Jahr lang an dem Protein, bis sie durch ihre Chefin von einem US-amerikanischen Forscher erfuhr, der an der NYU an einem sehr ähnlichen Projekt arbeitet. Für Stephan eine einmalige Chance. 

Wohnen in New York: Kakerlaken-Albtraum

Mit einem Stipendium der Deutschen Forschungsgesellschaft in der Tasche zog sie im Januar dieses Jahres nach New York. Allein. Ihre Freunde und Familie finden den Schritt mutig, für Stephan aber geht damit ein Traum in Erfüllung. Der Abschied fällt ihr trotzdem schwer – und die ersten Wochen in der neuen Heimat laufen alles andere als glatt.

“Ich kam hier mit zwei Koffern an und hatte gar nichts, nicht mal einen Teller.”

Gabriele Stephan

Die Dessau-Roßlauerin wohnt im Mitarbeiterwohnheim der NYU, sie hatte sich von Deutschland aus auf eine der günstigsten Einzimmerwohnungen beworben. Und die ist ein einziger Albtraum: Die Wohnung ist dunkel und abgewohnt, die Küche hat mindestens 30 Jahre auf dem Buckel, der Fußboden ist so dreckig, dass sie nie ohne Schuhe in der Wohnung läuft. „Als ich dann noch Kakerlaken entdeckt habe, war es bei mir vorbei“, erzählt sie.

Nach sechs Wochen und Beschwerden bei der Hausverwaltung kann sie schließlich in eine Wohnung im Nachbargebäude ziehen. In der fühlt sie sich sehr wohl, Luxus aber sieht anders aus. In der 35 Quadratmeter-Wohnung sind die Möbel bunt zusammengewürfelt, vieles hat sie von NYU-Kollegen geschenkt bekommen oder günstig zweiter Hand gekauft. Es ist eine Rückkehr zum Studentenleben. „Ich kam hier mit zwei Koffern an und hatte gar nichts, nicht mal einen Teller“, erzählt Stephan und lacht. 

Großstadtleben mit Tücken

Und auch das New Yorker Großstadtleben hat so seine Tücken. An die Ratten in den U-Bahn-Stationen und zwischen den Müllsäcken auf der Straße hat sie sich bis heute nicht gewöhnt. Gerade im Sommer kann die Stadt ganz schön stinken, wenn der Geruch von Müll, Abgasen, Schweiß und Urin die Straßen füllt. Dazu kommt die Anonymität der Großstadt. „In New York ignoriert jeder jeden”, sagt Stephan, „man ist in einer Stadt mit neun Millionen Menschen, aber trotzdem allein.“

Aber Stephan findet innerhalb der NYU schnell Anschluss. Ihre Kollegen kommen aus der ganzen Welt, aus Spanien, Indien, Griechenland, Ecuador.  „Dadurch wurde es mir leicht gemacht, die Stadt zu entdecken.“ 

Times Square in Manhattan: Hier ist es immer laut, immer hektisch. (Foto: Darian Garcia on Unsplash)

Entdeckungen bei ihrer Forschungsarbeit sind dagegen um einiges langwieriger. Weil sich die DNA aus mehr als drei Milliarden Bausteinen zusammensetzt, sind die Möglichkeiten, das Protein genetisch zu manipulieren, quasi endlos. Stephan versucht deshalb mit Hilfe von Algorithmen vorherzusagen, an welchen Stellen der DNA sie am besten ansetzen soll.

„Grundlagenforschung ist schwierig, weil man oft im Dunkeln fischt und das Ergebnis vorher nicht kennt“, sagt Stephan. Bis sie Fortschritte bei dieser Arbeit sieht, können Wochen, Monate oder sogar Jahre vergehen. „Ich werde nicht das Heilmittel gegen Krebs finden“, betont Stephan, „aber ich hoffe, dass ich einen kleinen Baustein dazu beitragen kann.“ Dafür steht sie bis zu zwölf Stunden am Tag im Labor. 

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Warum man in New York eher ausgeht, als zu kochen

Ihr Forschungsprojekt ist auf zwei Jahre begrenzt, wie es danach weitergeht, hält sich Stephan noch offen. „Aktuell zieht mich bis auf meine Familie und Freunde nichts nach Sachsen Anhalt zurück. Ich bin hier sehr zufrieden“, sagt die Auswanderin. Dabei hätte sie in ihrer alten Heimat durchaus gute Chancen, beruflich weiter durchzustarten. Forschungsmöglichkeiten gäbe es für sie im Raum Halle-Leipzig, meint Stephan, „nur eben nicht im Übermaß“. Und auch in Dessau-Roßlau winken Jobs in der Industrie. Doch wo sie sich in zwei oder drei Jahren sieht, das weiß Stephan noch nicht. Pläne für die Zukunft zu machen, liegt ihr nicht, sagt sie. Dafür genießt sie die Zeit im Big Apple viel zu sehr.

Gabriele Stephan liebt es, mit der Fähre über den East River zu fahren. (Foto: Janine Gürtler)

Vor allem die Toleranz der Menschen. „Ob man hier im Kleid und High Heels oder in Jogginghosen herumläuft, ist hier allen völlig egal.“ Auch die kulinarische Vielfalt weiß sie zu schätzen. „Viele Freunde von zu Hause glauben ja, dass ich hier nur Burger esse“, lacht sie. Dabei hat keine Stadt der Welt so eine abwechslungsreiche Küche zu bieten wie New York. Stephan hat hier von sri-lankischen Kottu Roti über chinesischen Hotpot (eine Art Fondue mit Fleisch, Gemüse und Teigtaschen) bis hin zu japanischen BBQ schon alles probiert. 

“Mir gefällt es hier sehr gut, aber ich merke auch, dass die Stadt einen ganz schön schafft.”

Gabriele Stephan

Dass die Dessau-Roßlauerin hier deutlich häufiger ausgeht als zu Hause zu kochen, liegt vor allem an den extremen Lebensmittelpreisen. In New York kostet der Supermarkteinkauf deutlich mehr als anderswo in den USA, im Prinzip hat man nur die Wahl zwischen teuer und super-teuer. Eine Tiefkühlpizza kostet hier schnell acht Dollar (6,80 Euro), eine Flasche Orangensaft sechs Dollar (5,36 Euro). „Da kommt es aufs Gleiche hinaus, im Restaurant essen zu gehen“, sagt Stephan. Manchmal aber vermisst sie eben doch die deutsche Küche – „vor allem knuspriges Brot.“ 

Und manchmal wird es auch der abenteuerlustigen Auswanderin in der Millionenmetropole zu anstrengend. „Mir gefällt es hier sehr gut”, sagt Stephan, „aber ich merke auch, dass die Stadt einen ganz schön schafft.”  Wann immer sie frei hat, entdeckt die Zugezogene die Stadt für sich. Die 31-Jährige liebt es, mit der Fähre über den East River nach Hunters Point in Long Island City zu fahren und dort bei einem Drink mit Freunden die Skyline Manhattans zu genießen. Außerhalbs des Labors hat sie dann auch ein Auge dafür. (mz)

Infobox: New York – Stadt der teuren Mieten

New York gilt als einer der teuersten Stadt der Welt. Kein Wunder: Ein Burger mit Getränk kostet im Restaurant locker mal 25 Dollar, ein Bier gibt es selten unter 8 und der Eintritt ins Museum kostet meistens um die 20 Dollar. Kennt man sich aber aus, findet man aber auch in einer teuren Stadt wie New York Schnäppchen. Viele Restaurants haben eine günstigere Mittagskarte und senken zur Happy Hour ihre Preise für alkoholische Getränke. Und einige der beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt sind sogar kostenlos: zum Beispiel der Central Park, der Highline Park, die Brooklyn Bridge und natürlich der Times Square.

Eine halbwegs bezahlbare Wohnung zu finden, ist für die Menschen in Manhattan die größte Herausforderung. New Yorker geben zwischen 40 und 60 Prozent ihres Einkommens für ihre Miete aus. Laut einer Erhebung des US-Immobiliendienstleisters Rentcafé bekommt man für 1.290 Euro monatlich in Manhattan lediglich 26 Quadratmeter – teurer wohnt man nirgendwo auf der Welt.

Kein Wunder, dass Manhattan für viele New Yorker lediglich Arbeitsplatz, aber nicht Wohnort ist. 1,5 Millionen Menschen pendeln Tag für Tag aus den Vororten und dem Umland dorthin. Und das meist mit der U-Bahn. Die heißt hier Subway und befördert jeden Tag rund 5,5 Millionen Fahrgäste – und zwar rund um die Uhr. (jgü)


Dieser Artikel erschien zuerst auf MZ.de.

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