Die „Eiskönigin 2“ verzaubert Millionen Fans in aller Welt. Hinter den Abenteuern von Anna und Elsa steckt auch Jacob Frey. Wie der Animator zur Disney-Schmiede kam – und warum „Findet Nemo“ sein Leben veränderte.
Von Janine Gürtler
Elsa sprintet über das Meer. Ihre magischen Kräfte verwandeln das aufgepeitschte Wasser vor ihr in Sekundenschnelle zu Eisblöcken. Eine Riesenwelle reißt die Eisprinzessin mit in die Fluten, für einen Augenblick wird alles schwarz. Ein Blitz durchzuckt das Wasser – und ein mystisches Pferdewesen erscheint.
Es ist die wohl faszinierendste Actionszene des neuen Disney-Films „Die Eiskönigin 2“, der seit wenigen Wochen Millionen in die Kinos lockt. Hinter ihr steckt ein Deutscher, Jacob Frey.
Der 35-Jährige hat hochkonzentriert an jeder Sekunde, jeder Mimik, jeder Bewegung von Elsa und dem Nokk – so heißt der magische Wassergeist, bei dem sich Disney bei der skandinavischen Mythologie bedient hat – in dieser Szene gefeilt. „Zwei Monate habe ich daran gesessen.“
Seit fünf Jahren arbeitet Frey, der gebürtig aus Hilden in Nordrhein-Westfalen kommt, als Charakter Animator in den legendären Walt Disney Animation Studios im kalifornischen Burbank. Hier, wo Straßen „Mickey Avenue“ oder „Dopey Drive“ heißen und Zeichnungen berühmter Disney-Charaktere die Wände des Animationsgebäudes zupflastern, werden Kinderträume wahr. Früher am Zeichenbrett, heute am Computer.
Job bei Disney: Von Hilden nach Hollywood
„Ich bin quasi ein digitaler Schauspieler, der die Charaktere darstellt. Die Regisseure schildern mir die Szene und was die Figuren fühlen, und ich muss das dann umsetzen“, erklärt Frey seine Arbeit. Was einfach klingt, ist in Wirklichkeit harte Arbeit: Wenige Sekunden im Film dauern Wochen in der Produktion. Denn in den ausgefeilten Computer-Sequenzen steckt unglaublich viel Liebe zum Detail. Hunderte Mitarbeiter modellieren zahlreiche Details, setzen Licht, simulieren Texturen und schaffen Effekte. Jede angehobene Augenbraue, jedes Stirnrunzeln, selbst jede noch so kleine Handbewegung ist hier genau durchdacht und Teil der Geschichte, die die Zuschauer in ihren Bann reißen soll.
Die Fortsetzung von „Die Eiskönigin“ führt diesmal in eine spektakuläre Welt mit bunten Wäldern und düsteren Abgründen. Das Universum rund um die beiden Prinzessinnen Elsa und Anna aus dem Königreich Arendelle lässt bei dem Filmgiganten die Kassen klingeln wie kein anderer Disney-Stoff. Der erste Teil spülte 2013 rund 1,3 Milliarden US-Dollar in die Kinokassen und brach damit alle Rekorde. Schon jetzt ist absehbar, dass Teil zwei der erfolgreichste Animationsfilm aller Zeiten wird.
“Ich frage mich immer noch oft, wie ich es hierhin geschafft habe.”
Frey ist der einzige Deutsche in einem Team von 90 Animatoren, die an dem Film gearbeitet haben. „Zoomania“, „Vaiana“, „Chaos im Netz“ – all diesen Filmen hat Frey Leben eingehaucht. Für ersteren ist er 2016 sogar mit einem Oscar für den besten Animationsfilm ausgezeichnet worden und zählt damit zu den ganz Großen im Filmgeschäft. „Ich frage mich immer noch oft, wie ich es hierhin geschafft habe“, sagt Jacob Frey über seine unglaubliche Karriere. Dabei begann Freys Weg zu Disney zunächst mit einem Scheitern.
„Findet Nemo“ ändert sein Leben
Als Schüler in der Kleinstadt Hilden war er gleich zwei Mal am Gymnasium sitzengeblieben, flog schließlich beim dritten Anlauf von der Schule. Er galt als Vieren- und Fünfenschreiber, nur in Französisch war er noch schlechter, eine glatte Sechs stand auf seinem Zeugnis. „Ich hatte den Glauben an mich schon aufgegeben“, erzählt Frey, „meine Eltern wussten nicht mehr, was sie mit mir machen sollten.“ Ausgerechnet ein Animationsfilm ändert sein Leben.
Er sieht Pixars Kassenschlager „Findet Nemo“ im Kino – und ist verzaubert. Seitdem steht für ihn fest: Er will auch Animationsfilme machen. Frey wechselt an ein Berufskolleg mit Schwerpunkt Kunst und merkt hier, dass Schule auch Spaß machen kann. Er wird vom Klassenschlechtesten zum Klassenbesten, macht sein Fachabitur. Der Weg zur Filmakadamie Ludwigsburg bleibt ihm ohne Abitur jedoch versperrt. Also drückt er als 21-Jähriger noch einmal für zwei Jahre die Schulbank. „Das war wirklich ätzend“, erinnert sich Frey.
Aber es lohnt sich. Frey schafft die Eignungsprüfung ohne jegliche Animations-Vorkenntnisse und legt jetzt erst richtig los. „Ich habe bei jedem Filmprojekt mitgearbeitet, was mir über den Weg lief.“ Er führt Regie bei seinen eigenen Animationsfilmen, sahnt mit seinen eigenen Werken über 100 Animationspreise ab. Sein Abschlussfilm „The Present“ wurde auf mehr als 300 Festivals weltweit gezeigt – und ging viral. 250 Millionen Mal wurde der rührende Streifen, der von einem Jungen mit amputiertem Bein handelt, bereits geklickt.
Nach seinem Diplom geht er für ein neues Filmprojekt nach Paris, doch nach nur drei Wochen klopft Disney an die Tür und bietet ihm einen Platz im Talentprogramm des Studios an. Frey zögert keine Sekunde. „Mir wurde oft gesagt, dass mein Traum eine Nummer zu groß für mich wäre“, blickt der Deutsche zurück. „Aber wenn man kontinuierlich an seiner Arbeit feilt, kann man auch sein Ziel erreichen.“
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Job bei Disney: So werden die Figuren erst richtig realistisch
Und das ist auch heute noch sein Motto. Auch nach fünf Jahren bei Disney ist Frey sehr selbstkritisch, wenn es um seine Arbeit geht. „Ich denke bei allen meinen Szenen, dass ich noch etwas besser machen könnte“, sagt der Animator. Deshalb schaut er sich auch immer wieder die Arbeit seiner Kollegen an, um weiter zu lernen. Aber für die Arbeit bei Disney braucht der 35-Jährige nicht nur jede Menge Zeichenkunst, sondern auch Schauspieltalent.
„Ich habe nie eine Schauspielschule besucht, ich entscheide viel aus dem Bauch heraus“, erzählt Frey. Im Animationsstudio gibt es aber auch einen verspiegelten Raum, in dem er und seine Kollegen Szenen nachspielen und sich dabei filmen können. So können sie später ihre eigenen Bewegungen auf die Figuren übertragen. „Wenn man zum Beispiel die Hand schließt, dann fängt man häufig erst mit dem kleinen Finger an und schließt nicht gleich die ganze Hand“, verrät der Frey einen seiner Tricks.
Bei der Unterwasserszene von Elsa stand Frey aber noch vor einer ganz anderen Herausforderung: Wie bewegen sich Menschen im Wasser und wie ein magisches Wasserpferd? Für die Szene hat sich Frey stundenlang Referenzmaterial angeschaut, um die Bewegungen von Elsa so lebensnah zu zeichnen, dass man völlig vergisst, einen Animationsfilm zu sehen.
Frey hat aber nicht nur bei Elsa und dem Nokk seine magischen Finger im Spiel, sondern auch Anna, Christoph und Olaf in verschiedenen Sequenzen animiert. Die Szenen mit Olaf mag er dabei am liebsten, sagt er. „Die sind unheimlich unterhaltsam und witzig.“
Wie ticken die Kollegen bei Disney?
Und wie sind seine Kollegen bei Disney so drauf? „Ich habe noch nie in einem Studio gearbeitet, wo so viel Wert daraufgelegt wird, dass die Leute sich wohlfühlen“, sagt Frey. Das Team ist international gemischt, die Künstler kommen aus Ländern wie Frankreich, Spanien, Korea oder dem Libanon. Ellenbogenmentalität gebe es hier nicht, sagt der Hildener. „Die Stimmung im Team muss passen, schließlich arbeitet man ja jahrelang zusammen an einem Film.“
In den Film „Vaiana“ ist sogar ein ganz persönlicher Schlüsselmoment von Freys Leben eingeflossen. Weil ihrer Insel Gefahr droht, packt die gleichnamige Titelheldin heimlich in der Nacht ihre Sachen, um den Halbgott Maui zu suchen. Es ist ein Abschied, der ihr schwerfällt – und der Frey an unweigerlich seinen eigenen Weggang von Deutschland in die USA erinnert. Eine Woche vor seiner Abreise hatte seine Mutter die Diagnose Krebs bekommen. Genau wie Vaiana, fiel ihm der Abschied von seiner Mutter damals unheimlich schwer. „Es war ein innerer Kampf. Nach dem Motto: Ich muss gehen, aber ich will nicht.“ Frey hat die gesamte Szene animiert und die Regisseure davon überzeugt, dass Vaianas Mutter, die eigentlich schon fast aus der Szene rausgeschnitten worden war, eine Schlüsselfigur in der Abschiedsszene ist.
Die deutsche Fassung von „Die Eiskönigin“, die seit Ende November in den Kinos läuft, hat Frey übrigens noch nicht gesehen. Das will er aber im Dezember, wenn er zu seiner Familie zurück nach Deutschland fliegt, nachholen. (mz)
Drei Geheimnisse über Disney
Was Disney anfässt, wird (meist) zu Gold. Den Grundstein für den finanziellen Durchbruch des Konzerns legte Gründer Walt Disney aber nicht etwa mit Mickey Mouse, sondern mit „Schneewittchen und die sieben Zwerge“, dem ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm der Geschichte. Drei Jahre arbeitete das Team am Film, insgesamt wurden etwa zwei Millionen Zeichnungen angefertigt.
Für den Film hat Walt Disney einiges riskiert. Der damals 35-Jährige nahm mehrere Hypotheken auf sein Haus auf, um die Produktionskosten von 1,5 Millionen US-Dollar zu stemmen. Heute belaufen sich die Produktionskosten bei Disney locker auf das Zweihundertfache. Als teuerster Film der Geschichte gilt übrigens ein Disney-Film: „Pirates Of The Caribbean 4 – Fremde Gezeiten” hat sage und schreibe 379 Millionen US-Dollar gekostet.
Auf dem Gelände der Disney Animation Studios in Burbank haben die Mitarbeiter nicht nur ein eigenes Kino. Es gibt auch unterirdische Gänge, die die Studios für Animation, Tinte und Farbe, Kamera und Schnitt miteinander verbinden. Früher wurde das Tunnelsystem genutzt, um Zeichnungen geschützt vor schlechtem Wetter zwischen den Studios hin und her zu transportieren. (jgü)
Der Artikel erschien zuerst auf MZ.de.